SPENCER

Spencer - Copyright DCM Film– Bundesstart 13.01.2022

Alles was der große Festival-Zirkus an SPENCER so bewundert und hoch anerkennt, das lässt den Zuschauer stolpern, erscheint nicht richtig, und funktioniert nicht wirklich. Es ist ein bizarrer Alptraum, den Steve Knight niedergeschrieben hat, angeblich aus einem wirklichen Traum heraus. Knight versteht es als seelische Reflexion über die letzten Tage der Prinzessin von Wales, bevor sie aus dem angeblichen Käfig der königlichen Familie ausbricht. Nimmt man die Handlung, eigentlich das ganze Geschehen aus dem geschichtlichen und allseits bekannten Kontext der realen Ereignisse, ergibt sich unvermittelt ein vollkommen anderer Film. Der Einstiegstitel lautet: Eine Fabel von einer wahren Tragödie. Laut Definition haben in der Fabel nicht nur Tiere und Pflanzen menschliche Eigenschaften, sondern auch ‚wundersame Mischwesen‘. Das Erste im Film ist also schon eine Metapher, wie so unendliche viele die Knight und Regisseur Pablo Larraín folgen lassen.

Das dies eine Geschichte um Prinzessin Diana und ihren illustren Kreis der royalen Familie ist, erschließt sich schnell, und ebenso eindeutig. Was sich nicht im Geringsten erklärt, inwieweit die einzelnen Elemente Wahrheit, Interpretation, oder dramaturgische Dichtung sind. Ganz sicher ist SPENCER kein wirkliches Psychogram der ‚Königin der Herzen‘, und auch kein nachvollziehbares Abbild einer Familie, wo es jede Person zweimal gibt. So erklärt es Prinz Charles auch hier, wie bereits in vorangegangenen Verfilmungen: Da gibt es die reale Person, und dann die, von der sich Menschen ein Bild machen. Sie möchten nicht, dass wir normale Personen sind.

Es ist Weihnachten 1991 in Sandringham, dem privaten Landsitz der Windsors. In perverser Dekadenz werden die Feierlichkeiten der königlichen Familie vorbereitet. Oberaufseher Major Gregory hat das minutiöse Protokoll dieser kommenden Tage im Visier. Alles ist genau festgelegt. Wer was zu welcher Gelegenheit Früh, Mittag, oder am Abend anziehen wird. Essenszeiten und die Menüs selbst genau geplant. Die Freizeitplanung gleicht einem peniblen Manöver. Nur eine ist zu spät, und sie wird sich weiterhin zu jedem vorgeplanten Tagespunkt verspäten. „Es ist so kalt hier“, beschweren sich Dianas Kinder Harry und William, und spielen auf das kaum geheizte Sandringham an. Für uns Zuschauende ist es eindeutig der Hinweis auf die Beziehung zwischen der Prinzessin zu den Royals.

Wahn und Wirklichkeit, Satire und bitterer Ernst, Biografie und Fiebertraum. Von Anfang an läuft alles ineinander, und wird nicht mehr zu trennen sein. Damit erzeugt der Chilene Larraín eine sehr intensive Atmosphäre, die in Anbetracht der nicht vorhersehbaren Ereignisse unablässig pulsiert. Diana ist der unaufhaltsame Riss im sonst soliden Gefüge. Aber wo und wie sich der Film mit den wirklichen Vorkommnissen deckt, wo er übertreibt und erfindet, oder sich vielleicht zurück nimmt, bleibt ungewiss und erschließt sich nicht, es sei denn die Zuschauenden sind Binge-Watcher von THE CROWN oder Fetischisten von Boulevard-Zeitschriften.

Spencer 2 - Copyright DCM Film

Das Diana heftig mit der außerehelichen Beziehung von Prinz Charles mit Camilla Parker Bowles zu kämpfen hat, erfahren wir aus der Inhaltsangabe des Presseheftes, aber nicht durch die Bilder mit denen der Film dieses Thema behandelt wissen will. Die engstirnige Auslegung von Etikette und Tradition bei Königs ist allgemein bekannt, aber dem Publikum ist es unmöglich zwischen einer satirischen Überzeichnung, oder realem Abbild zu unterscheiden. SPENCER wird zum psychologischen Alptraum einer Frau, den man nachvollziehen kann und fasziniert folgt. Wer den Fehler macht SPENCER als biografische Wiedergabe zu betrachten, wird kaum etwas nachvollziehen können und weniger enthusiastisch folgen.

Was sofort an diesen Film fesselt, ist das atemberaubende Kamerakonzept von Claire Mathon. Die preisgekrönte Bildgestalterin von PORTRAIT OF A LADY ON FIRE verwandelt hier jede Einstellung in ein bewegtes Gemälde. Aber Mathon zeigt keine lose aneinander gereihte Kameraspielereien. Verblüffende Kamerafahrten und präzise ausgearbeitete Bildausschnitte sind ein ständiger Spiegel von Prinzessin Dianas ständig überkochenden Gemütsregungen. Allein Claire Mathons überwältigende Bildsprache macht SPENCER zu einem exzellenten Beispiel, was Kino heute immer noch bieten kann.

Aber auch Kristen Stewart beweist erneut, dass sie sich in jedem Genre und mit jeder Figur ausgezeichnet versteht. Auch wenn sie sich in Hochstimmung durch CHARLIE’S ANGELS prügelte, oder als faszinierendes Pendant in SEBERG überzeugte, hat man trotz der bedrückenden Atmosphäre bei SPENCER immer das Gefühl Stewart wäre gerade in diese Rolle hineingeboren. Die Schauspielerin fühlt sich sichtlich wohl, und sie geht merklich darin auf. In nur wenigen Szenen imitiert siedie Körpersprache der realen Titelfigur, dies allerdings erschreckend natürlich. Aber überwiegend macht Kristen Stewart ihren Charakter zu einem ganz eigenen Wesen, dass den Zuschauer weit weg führt von einer Prinzessin wie sie die Welt sehen will. Damit durchbricht Stewart das von Charles gestellte Dogma der zwei Personen, und zeichnet ein drittes Wesen. Ein Mischwesen, fast wie aus einer Fabel.

Spencer 1 - Copyright DCM Film

 

Darsteller: Kristen Stewart, Timothy Spall, Jack Nielen, Freddie Spry, Jack Farthing, Sean Harris, Stella Gonet, Richard Sammel u.a.
Regie: Pablo Larraín
Drehbuch: Steven Knight
Kamera: Claire Mathon
Bildschnitt: Sebastián Sepúlveda
Musik: Jonny Greenwood
Produktionsdesign: Guy Hendrix Dyas
Großbritannien – Deutschland – USA – Chile
Jahr 2021
117 Minuten

Bildrechte: DCM Film
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