Willem Dafoe – INSIDE

Inside - Copyright SquareOne– Bundesstart 16.03.2023

Der Dieb, bereits nahe daran seinen Verstand zu verlieren, erklärt einem imaginären Publikum sein neuestes Rezept. Man nehme kaltes, filtriertes Wasser, und lege die Nudel darin ein. Nach ungefähr 24 Stunden sind diese wunderbar al dente. So in etwa nimmt sich auch die Geschichte aus, die Vasili Katsoupis verfilmt hat. Nach seiner eigenen Idee und geschrieben von Ben Hopkins. Der Dieb, der nur im Abspann einen Namen hat, im Film aber nie benannt wird, hat sieben Minuten Zeit aus einem unverschämt exklusiven und mit abartig viel Kunst gestalteten Penthouse vier Originalgemälde von Egon Schiele zu stehlen. Die Smart-Steuerung des Penthouse hat aber einen Systemfehler, und riegelt alles hermetisch ab. Allein auf sich gestellt, muss der Dieb einen Weg nach draußen finden. Panzerglas, Stahltüren, gekappte Telefonleitungen, Wasser und Gas abgestellt. Und weder Polizei noch Sicherheitspersonal haben den Alarm wahrgenommen.

Es gibt Darsteller die nach der ultimativen Ein-Personen-Schau suchen, aber nur wenige welche diese auch tragen können. Tom Hanks in CAST AWAY, zum Beispiel, oder Ryan Reynolds in BURIED, um das Populär-Kino zu nennen. Tilda Swinton in MEMORIA war da schon ganz tief im verkopften Arthouse zugegen. Da wo man auch Willem Dafoe mit INSIDE einordnen muss. Denn das Spielfilmdebüt des Dokumentarfilmers Katsoupis ist nie wirklich eindeutig in seinem Narrativ, den Aussagen und Absichten. Erbsenzähler finden Logiklöcher nach belieben.

Ist nur die Frage, ob diese Logiklöcher tatsächlich welche sind. Der Kunsträuber, gleichsam Künstler im Geiste, umgeben von den teuersten Werken der Moderne, und doch will er nur entkommen. Die Botschaft könnte ganz banal sein. Was nützt dir diese Kunst, wenn Du davon nicht satt wirst. Im wahrsten Sinne des Wortes. Kameramann Steve Annis (I AM MOTHER oder COLOR OUT OF SPACE) schafft eine beunruhigende Atmosphäre, in dem er dem Publikum die Komplexität des der räumlichen Aufteilung vorenthält. Dafür konzentriert er sich auf beklemmende Nahaufnahmen.

Die unerträgliche Hitze durch die defekte Haussteuerung, der leere Kühlschrank, das abgestellte Wasser. Der Regisseur lässt es Zuschauerinnen und Zuschauern in sehr effektiven und geschickt montierten Detailaufnahmen spüren, wie es dem unfreiwilligen Gefangenen ergeht. Körperlich, aber auch geistig. Es dauert nicht lang und Protagonist sowie Publikum beginnen an der Wahrnehmung zu zweifeln. Tage scheinen zu vergehen, oder ist auch das nur ein Trugschluss. In der zweiten Hälfte vermischen sich Realität und Illusion komplett. Aber da beginnt sich der Film auch zu wiederholen.

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Zweifellos ist es ein beißendes Vergnügen, Willem Dafoe in allen Stadien der Verzweiflung und Hilflosigkeit, der Hoffnung und dem Wahnsinn zu erleben. Dafoe trägt solche Rollen nicht auf der leichten Schulter, sondern mit radikaler Konsequenz. In manchen Sequenzen ist er sogar zu perfekt. Ein Darsteller entgegen des leicht zuzuordnenden Typus wäre eventuell spannender gewesen. Was dann auch Vasili Katsoupis entgegen gekommen wäre. Der kann die Geschichte sehr präzise reduziert aufbauen, und versteht raffinierte Akzente zu setzen.

Aber Katsoupis kann mit seiner eigenen Geschichte nicht sehr viel anfangen, gerade in der zweiten Hälfte. Der Stil des Regisseurs ist eine konstante Auseinandersetzung mit Wahrnehmung und Interpretation. Ist es realistisch wegen einer Geschäftsreise das Wasser abzusperren? Warum ist in einem derart luxuriösem Penthouse kein üblicher Lebensmittelvorrat? Warum ist der Besitzer auf vielen Bildern mit dem Blick auf den Protagonisten allgegenwärtig? Warum gibt es keine Reaktionen auf den Sicherheitslockdown, und die anderen markanten Ereignisse?

Mit der Ausgestaltung der Räumlichkeiten hat Thorsten Sabel ein kleines, paradoxes Wunder geschaffen. Bei CLOUD ATLAS hat er mit der Realisation vieler verschiedener Epochen brilliert, hier aber nur mit einem einzigen Drehort, den er aber optisch aufteilt wie ein endloses Refugium an Räumen. Und dennoch vermittelt Sabel hier mit grauem Beton und den irrealen, manchmal absurden Kunstwerken eine klaustrophobische Atmosphäre, die trotz der üppigen Räume keine Entfaltung zulässt. Es erdrückt wegen seiner fast abstoßenden Unnahbarkeit.

Der surrealen Eindruck der Ereignisse wird noch verstärkt, dass der Blick aus den riesigen Panzerglasfenstern ein auffallendes Green-Screen-Stadtpanorama zeigt. Nicht etwa schlecht gemacht, sondern bewusst auf der Schneide von real und künstlich. Mit INSIDE geht eine unheimliche Faszination einher, die kraftvolles, eindringliches Schauspielkino garantiert, und die Leidenschaft von Zuschauerinnen und Zuschauern für abstrakte Erzählungen herausfordert. Da wäre es wünschenswert gewesen, der Filmemacher Katsoupis hätte mehr Vertrauen in eine solidere Annäherung an seine eigenen Ideen gehabt. Warum nur hat eine Figur in einem Gemälde nur so eine frappierende Ähnlichkeit mit dem Mann, der gerade erst in dieses Gebäude eingebrochen ist?

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Darsteller: Willem Dafoe, Gene Bervoets, Eliza Stuyck, Andrew Blumenthal, Vincent Eaton u.a.
Regie: Vasili Katsoupis
Drehbuch: Ben Hopkins, Vasoili Katsoupis (Idee)
Kamera: Steve Annis
Bildschnitt: Lambis Haralambidis
Musik: Frederik Van de Moortel
Produktionsdesign: Thorsten Sabel
Großbritannien, Deutschland, Belgien, Schweiz, Griechenland
2023
105 Minuten

Bildrechte: SquareOne
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