ALL OF US STRANGERS

All Of Us Strangers 1 - Copyright SEARCHLIGHT PICTURES– Bundesstart 08.02.2024
– Release 22.12.2023 (US)

Preview 07.02.24, Cinecitta, Nbg.
In einem Hochhaus im heutigen London lebt Adam, ziemlich allein. Es gibt scheinbar nur einen Nachbarn, wie Adam bei den wiederholten, stets falschen Feueralarmen bemerkt. Während er auf der Wiese auf Entwarnung wartet, wird Adam vom sechsten Stock aus von jenem mysteriösen Nachbarn beobachtet. Und eines Tages klingelt dieser Mann an der Tür. Harry, er ist zwar betrunken, aber unaufdringlich. Auch wenn er Dinge stammelt, die für Zuschauende wirr klingen. Adam versteht sehr gut. Beide Männer sind auf ihre Weise vorsichtig, mit einer leichten Spur von Verunsicherung. Der Übergang zu einer intimeren Beziehung geht schnell, aber nicht überstürzt, dafür sehr gefühlvoll. Es sind für Adam bisher fremde Erfahrungen, was ihn aber letztendlich dazu bewegt, seinen Lebensweg auch mit seinen Eltern zu klären.

Die gesamte Karriere von Filmemacher Andrew Haigh ist durchzogen mit Geschichten von homosexuellen Lebenserfahrungen. Nicht die Pauken-und-Trompeten-Melodramen aus dem Mainstream-Kino, sondern die kleinen, manchmal auch unscheinbaren Akzente. Nach eigenen Angaben ist Haight in seinen Werken nicht an den offensichtlichen Aspekten interessiert, sondern will sich mit den alltäglichen Details von Homosexualität auseinandersetzen. Aber mit ALL OF US STRANGERS weicht der queere Filmemacher von den unscheinbaren Details ab, und befasst sich konzentriert auf Adams Coming Out. Und das mit ganz leisen Tönen, ohne das übliche Melodram zu bemühen.

Adam verlässt die große Stadt, die Haigh mit seinem Kameramann Jamie Ramsay als anonyme Metropole zeigt. Das pulsierende Leben kann man erahnen, die Geschichte macht aber keinen Gebrauch davon. Selbst wenn Adam in den Randbezirk fährt, um sein Elternhaus zu besuchen, bleibt er in den leeren Straßen alleine. Mit 12 Jahren wurde er Vollwaise, als Mutter und Vater bei einem Unfall starben. Jetzt öffnen sie ihm die Tür, 30 Jahre später, und kein bisschen gealtert. Und sie sind von ganzem Herzen erfreut, Adam nach all der Zeit wiederzusehen. Was hier geschrieben den Anschein einer schrillen Fantasterei bekommt, verzichtet aber konsequent auf märchenhafte Züge.

All Of Us Strangers 3 - Copyright SEARCHLIGHT PICTURES

Es ist erstaunlich, wie Andrew Haigh seine Prämisse selbstverständlich und natürlich gestaltet. Man stellt die Situation nicht in Frage, was sich durch die Authentizität zwischen Claire Foy und Jamie Bell als Eltern, und Andrew Scott ergibt. Sie sind noch immer die treusorgenden, verständnisvollen Eltern, und Adam der respektvolle, vorpubertäre Sohn. Das dieser Spagat so überzeugend gelingt, obwohl alle äußerlich das gleiche Alter haben, funktioniert allein durch die harmonische Natürlichkeit der Schauspieler und der einfühlsamen Führung von Haigh. Dieser Zusammenhalt lässt den Film überhaupt erst funktionieren, weil er wesentlicher Aspekt von Adams Geschichte ist.

Als Harry ist Paul Mescal schlichtweg unwiderstehlich. Er bringt Adam dazu, den Weg zu akzeptieren, der bislang von Unsicherheit gegenüber seiner Homosexualität geprägt war. Dabei muss er sich allerdings nicht nur den notwendigen Zugeständnissen an die Zukunft stellen, sondern will vor allem mit den ungeklärten Umständen seiner Vergangenheit abschließen. Haight verzichtet darauf die Erzählung in irgendeiner Weise künstlich zu dramatisieren. Dennoch ist es ein unglaublich spannender Diskurs, ob die Eltern Adams Lebenswandel akzeptieren werden, oder was es bei ihm auslösen könnte, sollten sie ihn ablehnen. Auf der anderen Seite ist da noch immer Harry, der genau weiß, warum sich Adam unbedingt seinem Weg stellen muss. Und Andrew Haigh hat das unglaublich gefühlvoll und ehrlich inszeniert, ohne pathetisch zu werden.

All Of Us Strangers 2 - Copyright SEARCHLIGHT PICTURES

 

Darsteller: Andrew Scott, Paul Mescal, Claire Foy, Jamie Bell u.a.
Regie & Drehbuch: Andrew Haigh
nach dem Roman von Taichi Yamada
Kamera: Jamie Ramsay
Bildschnitt: Jonathan Alberts
Musik: Emilie Levienaise-Farrouch
Produktionsdesign: Sarah Crawford
Großbritannien, USA / 2023
105 Minuten

Bildrechte: SEARCHLIGHT PICTURES
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