ONE BATTLE AFTER ANOTHER

One Battle AA - (c) WARNER BROS– Release 24.09.2025 (world)

Lange vor dem offiziellen Filmstart, direkt nach den ersten Presseterminen und der zwei Wochen vorangegangenen Premiere, wurde Paul Thomas Andersons neuer Film als Meisterwerk gepriesen. Sogar als der beste Film des Jahres, von mehreren Rezensenten, unabhängig voneinander. Es lässt sich auch leicht erklären, woher diese Euphorie kommt. Es ist eine unbestimmte Zeit in sehr naher Zukunft. Nahe der mexikanischen Grenze befreit die Rebellengruppe French 75 aus einem hochgesicherten Internierungslager illegale Migranten. Oder vielleicht sogar legale Einwanderer – der Regisseur und gleichzeitige Drehbuchautor lässt das geschickt offen. Angeführt wird French 75 von der hassgetriebenen Perfidia (Teyana Taylor), mit ihrem verwirrten Partner Bob Ferguson. Und auch wenn es durch die überschwängliche Begeisterung so kommen sollte, Bob Ferguson ist keine Rolle mit der Leonardo DiCaprio einen Oscar verdient hätte. Die erste halbe Stunde von Andersons Film erweckt den Anschein eines zeitnahen, soziopolitischen Kommentars.

Paul Thomas Anderson hat schon immer tiefgründige Filme gemacht, die durch sehr komplexe Figuren bestimmt werden. Hier, in seinem zweiten Film nach einem Roman von Thomas Pynchon, ist das etwas anders (der erste war „Inherent Vice“ von 2015). Pynchons Roman spielt in 1990. Andersons Film spielt im Heute, die Anlehnungen an die aktuellen politischen Umstände in seinem Land sind offensichtlich. Er verwendet diesen Umstand auch effektiv, aber es ist nicht zentrales Thema. Dennoch legt eben dieses einführende Szenario nahe, was die enthusiastischen Publikumsreaktionen im eigenen Land ausmacht. Guerillas gegen das neu entstandene, faschistische Regime.

Das dieser Film atmosphärisch in eine besondere Richtung gehen wird, wird ebenfalls in dieser ersten, actionlastigen Einführung deutlich. Wenn Perfidia den Kommandeur des Lagers, Colonel Steven Lockjaw, unter Waffengewalt festnimmt, und dieser mit einer immensen Erektion reagiert. Es ist der Beginn von Lockjaws sexueller Obsession für die schwarze Perfidia, die den Verlauf der Handlung bestimmt. Eine Handlung die 16 Jahre später weitergeführt wird. Trotz Zeugenschutzprogramm ist Perfidia untergetaucht, und der endgültig von Alkohol und Marihuana zerstörte Bob Ferguson versucht sich alleine um Perfidias heranwachsende Tochter Willa zu kümmern. In der Überzeugung, Willa wäre seine Tochter. Ein mitreißendes Filmdebüt von Chase Infinite.

One Battle AA 1 - (c) WARNER BROS

Für seine Tochter hat Bob die Revolution erst einmal auf Seite geschoben, Willa aber in allen Abläufen für den Untergrund geschult. Das wird unvermittelt auch notwendig, weil Lockjaw über die Jahre seine Jagd auf die French 75 nicht aufgegeben hat, und wenn ihm schon Perfidia entwischt ist, muss er zumindest über Willa und seine mögliche Vaterschaft Klarheit bekommen. Denn der Colonel hätte die Chance in einen Geheimbund von White Supremacists aufgenommen zu werden, und Perfidia war schwarz. Somit könnte Lockjaw eine Mischlingstochter haben. Keine gute Voraussetzung für jemanden der einer Schattenregierung für die weiße Herrenrasse beitreten möchte.

„One Battle After Another“ geht also seinem Titel gerecht werdend, in andere Richtungen. Und dabei verkneift sich der Regisseur konkretere Stellungnahmen. Demnach dringt der Film auch nicht wirklich tief in seine angeschnittenen Themen ein, so zeitgemäß sich das Szenario auch für eine aktuelle Reflexion anbietet. Da wird der neorealistische Klassiker „Schlacht um Algier“ prominent ins Bild gesetzt, in dem es um die Unabhängigkeit von Frankreich geht. Zudem sind wiederholt Bücher über diverse Amerikaner zu sehen, wie George Washington oder Benjamin Franklin, etc.. Über den Verlauf wird deutlich, dass ‚eine Schlacht nach der anderen‘ nicht aktuell geschlagen wird, sondern das Land schon seit den Gründungsvätern im ständigen Stress steht.

Es ist ein zutiefst amerikanischer Film, den im Herzen ein globales Thema antreibt. Es ist der Kampf um die Familie, und für die Familie. Als Lockjaw und seine Häscher nach 16 Jahren endlich Bob und seine vermeintliche Tochter Willa aufspüren, geht es nicht mehr um die leibliche Familie, es geht um die Familie im Herzen. Und da läuft Leonardo DiCaprio zu Hochform auf. Seine Panik, seine Angst, seine Verwirrung. Alkohol und Drogen haben ihn die einfachsten Dinge vergessen lassen, und die Revolution funktioniert auch nur noch über Bürokratie. Und wie sich DiCaprio da hektisch, überfordert, verzweifelt und manchmal verloren wortwörtlich hindurchkämpft, wird die Liebe zu seiner Willa tatsächlich auch auf der Leinwand spürbar.

One Battle AA 3 - (c) WARNER BROS

Was aber Sean Penn vor die Kamera bringt, geht über alles hinaus, für das Penn bisher so geschätzt wird. Das kann aber in beide Richtungen geltend gemacht werden, denn wie Penn seinem Lockjaw freien Lauf lässt ist nahezu unbeschreiblich. Colonel Steven J. Lockjaw ist zu gleichen Teilen gefürchteter Soldat und manischer Psychopath, hauptsächlich aber groteske Witzfigur. Sean Penn trägt das alles gleichzeitig in seiner Körperhaltung, in seinen Manierismen, und in seiner Sprache (der Originalfassung im Cineplex-Fürth sei Dank). Es ist eine fragwürdige Figur für den Film an sich, aber es ist atemberaubend, wie authentisch Sean Penn in seiner Rolle aufgeht.

Mit 161 Minuten rückt Paul Thomas Anderson seinen Film in die Kategorie eines Epos, der auch genau danach aufgebaut ist. Ein großes, allgemeingültiges Ausgangsthema verdichtet sich mehr und mehr auf den Kern seiner Figuren – auf die Essenz seiner Geschichte. Es ist ein verrücktes Epos, weil hier nicht an Humor gespart wird – allem voran Penns Lockjaw. Meist ist der Witz unangebracht, oft unerwartet, manchmal unterschwellig. Immer wieder zwischen Slapstick und Satire. Diese unvermittelten Einschübe von Humor sind in erster Linie gewöhnungsbedürftig zwischen den thematisch realistischen Ansätzen, dramaturgisch brutalen Zugaben, und charakterlich emotionalen Entwicklungen. Der Film verwehrt sich dadurch als tiefgründige Dystopie verstanden zu werden, trotz seiner internierten Migranten und existierender Schattenregierung.

Anderson offeriert auch ein gutes Maß an Action mit einhergehender Gewalt, wobei der Regisseur gerne auch explizite Szenen außerhalb des Bildes stattfinden lässt, was anschließend mit guten Überraschungseffekten verbunden ist. Doch der Film glänzt auch mit zwei Autoverfolgungen. Eine, die in dieser Art schon seit langer Zeit nicht mehr zu sehen war, und eine, die es so noch nie gegeben hat. Die erste Jagd führt durch eine mit Autos vollgestopfte Stadt, bei der kein Auto ausweicht oder ausweichen kann. Die Zweite geht über einen sehr hügeligen Highway in der Wüste. Sollte also „One Battle After Another“ außerhalb Amerikas weniger Euphorie und Anklang finden, wie in dem Land dessen Themen und Ängste der Film anspricht, werden ohne Zweifel zumindest diese beiden Verfolgungsjagden in bester Erinnerung bleiben.

One Battle AA 2 - (c) WARNER BROS


Darsteller: Leonardo DiCaprio, Sean Penn, Benicio del Toro, Regina Hall, Teyana Taylor, Chase Infiniti u.a.

Regie & Drehbuch: Paul Thomas Anderson
Nach dem Roman von Thomas Pynchon
Kamera: Michael Bauman
Bildschnitt: Andy Jurgensen
Musik: Jonny Greenwood
Produktionsdesign: Florencia Martin
USA / 2025
161 Minuten

Bildrechte: WARNER BROS.
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