EDDINGTON

Eddington - (c) LEONINE Distribution– Bundesstart 20.11.2025
– Release 16.07.2025 (FR)

Geschichtliche Ereignisse in einen zeitlichen Rahmen einordnen: „Wo warst Du am Tag, als…“ Für das Jahr 2020 hat sich die Fragestellung geändert. „Was hast Du getan, als Covid-19 ausgebrochen war?“ Filmemacher Ari Aster hat eine klare Vorstellung von dem, was jede und jeder getan hat. Und das ist paradox, weil keine und keiner verstanden hat, was sie oder er selbst getan hat. Schlimmer noch – Covid-19 hält nach wie vor an. Nicht als lebensgefährlicher Virus – das schon auch, natürlich – aber es hält noch an, als lebensgefährliche Massenpsychose. Eigentlich sollte „Eddington“ ein klassischer Western im vergangenen Jahrhundert sein. Autor und Regisseur Aster kam aber damit nicht voran, machte zuerst den Schocker „Hereditary“, gefolgt vom verstörenden Folk-Horror „Midsommar“, um mit dem fantastischen Rätsel „Beau is Afraid“ nachzusetzen. Aber jener Western hat Ari Aster nie losgelassen. Also ist das jetzt seine Zeit, sei vierter Langfilm, seine Sicht auf die Dinge, im Gewand eines Western.

Eddington, New Mexico. Ein Fleck mit etwas über 2500 Einwohnern. Joe Cross ist hier Sheriff. Ted Garcia ist der Bürgermeister. Joaquin Phoenix wirkt hier als Joe noch weiter weg von der Welt, als in „Beau is afraid“. Pedro Pascal ist als Ted sehr effektvoll gegen sein Image des harten Kerls gebürstet. Wie in jedem guten Western, gibt es Gut und Böse. Wie in vielen guten Western, sind das Sheriff und Stadtoberhaupt. Beide haben eine Vergangenheit, die erzählt uns Aster aber später. Denn zu Anfang geht es erst einmal um Recht, Gerechtigkeit und Schutz der Einwohner, zu dem sich beide verpflichtet haben. Nur das Ari Aster das Konzept von Gut gegen Böse auf den Kopf stellt.

Aster spielt auch mit den Mechanismen des Kinos und seinem Publikum, weil Phoenix schon vorher als Heldenfigur gesetzt wurde, und Pascal sich bereits seine Sporen als niveauvoller Antagonist redlich verdient hat. Und der Film implementiert auch ganz klar Joaquin Phoenix als den Guten in seinem Western. Ein Held der die Maskenpflicht in Eddington ignoriert, und Einwohner unterstützt die auch keine Maske tragen wollen. Ein Held, der die von seiner Schwiegermutter verbreiteten Verschwörungstheorien einfach stehen lässt. Ein Held, der sich nicht durchsetzen kann, keinen Respekt erfährt, nicht weiß was er tut. Wie wird sich da das Publikum positionieren?

Joes Frau heißt Louise und wird von Emma Stone gespielt. Gerade weil Stone in ihrer Rolle meist stumm ist und wenig reagiert, will man einfach mehr von diesem Charakter sehen. Doch der Regisseur lässt ausgerechnet Stone vollkommen unterbeschäftigt. Alles in „Eddington“, nicht nur in der Stadt, sondern vornehmlich im Film ist gegen den Strich gebürstet. Plötzlich wird für einen Mann votiert, der verkörpert, was die meisten Zuschauenden während der Pandemie verabscheut haben. Ari Aster dreht alles um. Was darin gipfelt, dass der Filmemacher alles aufgreift was seither unsere Gesellschaft zu zerreißen droht. Aber dafür bietet der Filmemacher keine Lösungen.

Von der Maskenpflicht gegängelt, beschließt Joe Cross bei den anstehenden Wahlen zum Bürgermeister, gegen den amtierenden und geschätzten Ted Garcia anzutreten. Mittenrein platzt der radikale Verschwörungstheoretiker Vernon, der Louise mit seinem Kult in die Fänge bekommt. Dann beginnen noch einige Jugendliche mit Black-Lives-Matter-Demonstrationen, die für Unruhe zu Sorgen, obwohl diese niemanden in Eddington interessieren. Dann soll noch ein gigantisches Daten-Center gebaut werden, bei dem das Für und Wider nicht nach Umweltschutz ausgerichtet ist, sondern nach persönlichen Ideologien. Irgendwann vermischen sich all diese Geisteshaltungen, und keine der Figuren weiß mehr, wovon gerade gerettet oder wofür gekämpft wird.

Eddington 1 - (c) LEONINE Distribution

Erstaunlicherweise behält der Regisseur – und damit sein geneigtes Publikum – immer den Überblick. Aster erzählt sogar in bemerkenswerter Ruhe, lässt seine Western-Atmosphäre wirken. Tausendsassa Darius Khondji findet dafür auch immer mit der Kamera die perfekten Gelegenheiten, die einsame Weite der Stadt oder den aussichtlosen Kampf des nicht gerade strahlenden Helden zu zeichnen. Khondji hat Music Videos gemacht, dokumentarisch gestylte Thriller, epische Abenteuerfilme. Bei „Eddington“ gönnt er sich einen stimmigen Mix aus allen kameratechnischen Stilelementen des Kinos. Das funktioniert ganz hervorragend, weil er damit auch die Turbulenzen in der Geschichte und das emotionale Chaos seiner Figuren widerzuspiegeln versteht.

Die kontinuierlich passende, aber eingängige Bildsprache hilft aber auch dabei, dass sich der Film ab der zweiten Hälfte schnell abnutzt. Obwohl es einen signifikanten Wendepunkt im Midpoint gibt, der wirklich überrascht. Doch bis dahin und darüber hinaus sind die Figuren bekannt. Und es ist auch längst klar, dass Ari Aster Chaos stiften will, genau dafür ist seine Erzählun prall mit kontroversen Themen. Dieses Chaos hat sich bis zu diesem Midpoint unweigerlich auch sehr gut auf das Publikum übertragen – wir alle waren da, und wir sind es noch. Vielleicht ist es auch gut, dass Aster keine befriedigenden Lösungen offeriert, oder einen sonst üblichen, heilenden Ausweg.

Schlimmer, er finalisiert sein soziopolitisches Abbild mit einem Ist-Zustand. Ari Aster ist verdammt gut im Horrorgenre, aber dafür ist „Eddington“ zu nah am wahren Alptraum von ideologisierten Lügen und alternativen Fakten. Und so mitreißend jämmerlich Phoenix auch spielen mag, dass nichts anderes möglich ist, als für ihn zu votieren, funktioniert „Eddington“ als Western nur bedingt. Doch wir alle wissen noch was wir während der Pandemie gemacht haben – und wir machen es noch, dazu haben wir uns aber zusätzlich noch viel mehr aufgeladen. Aster reißt alles nur an, und oftmals ist es sogar absurd witzig, aber nur anreißen ist am Ende doch unbefriedigend wenig.

Eddington 2 - (c) LEONINE Distribution


Darsteller: Joaquin Phoenix, Emma Stone, Pedro Pascal, Deidre O’Connell, Micheal Ward, Luke Grimes, Cameron Mann, Matt Gomez Hidaka u.a.

Regie & Drehbuch: Ari Aster
Kamera: Darius Khondji
Bildschnitt: Lucian Johnston
Musik: Bobby Krlic (The Haxan Cloak), Daniel Pemberton
Produktionsdesign: Elliott Hostetter
USA, Finnland, Großbritannien / 2025
148 Minuten

Bildrechte: LEONINE Distribution
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