LOLITA LESEN IN TEHERAN

Lolita Teheran 1 - (c) WELTKINO FilmverleihREADING LOLITA IN TEHRAN
– Bundesstart 20.11.2025
– Release 21.11.2024 (ITA)

Kapitel I: DER GROSSE GATSBY
von  F. Scott Fitzgerald
Nach der islamischen Revolution 1979, kehrt Azar Nafisi mit ihrem Mann Bijan nach Teheran zurück. Die Professorin für englische Literatur soll hier an der Universität lehren. Azar ist voller Enthusiasmus, aber die Realität des Ajatollah-Regimes zerstört sehr schnell ihre Hoffnungen. Die Unterdrückung der Frau, Zensur und Verteufelung aller abendländischen Kultur und Werte.  Azar tut sich schwer, die Veränderungen zu akzeptieren, stößt auf Widerstände in ihrer Klasse, und muss sich nach und nach dem Regime beugen. Wie es dem Erzähler in Fitzgeralds Roman ‚Der große Gatsby‘ ergeht, der darauf  vertraut, dass nur Reichtum der wahre Schlüssel zu Glück und Erfolg sein wird. Genauso zerbricht auch Azars Traum, als sich die islamische Revolution als Trugschluss entpuppt.

Der israelische Filmemacher Eran Riklis hat bei dieser Adaption von Azar Nafisis Roman Regie geführt, dem wohl bekanntesten Buch der iranischen Professorin und Autorin.  Marjorie David ist eine der besseren TV-Autorinnen für originellere Stoff im amerikanischen Fernsehen, und hat die Kapitelreihenfolge von „Lolita lesen in Teheran“ etwas verändert. Und die Kapitel wurden von Autorennamen zu den jeweiligen Buchtiteln umbenannt. Das macht die Erzählung in der reduzierten Zeit einer Verfilmung etwas griffiger, und etwas komplexer. Es verändert aber keineswegs die grundlegenden Erfahrungen, Repressalien und Entscheidungen denen sich Nafisi während ihrer  bedrückenden Jahre in Teheran stellen musste. Buchadaptionen fordern in der Regel Unzufriedenheit heraus. Bei Riklis‘ Film sollte das ausbleiben.

Kapitel II: LOLITA
von Vladimir Nabokov
Es ist ein Zeitsprung von elf Jahren. Azar Nafisi hat ihre Anstellung aufgeben müssen und hat mit sechs ehemaligen Studentinnen einen geheimen Literaturkreis gebildet, bei dem verbotene, westliche Roman behandelt werden. Seinerzeit, kurz nach der Revolution, wurden Azars Studentinnen inhaftiert und gefoltert. Sie alle haben sich dem System unterworfen, feiern aber in ihrem Kreis, in der Abgeschiedenheit von Azars Wohnung, eigentlich unerlaubte Freiheiten. Das restriktive Regime funktioniert hier wie „Lolita“s Hauptprotagonist, Humbert Humbert, der nicht nach der wirklichen Lolita verrückt ist, sondern nach dem unterwürfigen Wunschobjekt seiner Fantasie.

Riklis und seine exzellenten Darstellerinnen verdeutlichen dieses Gebilde von Sein und Schein sehr stark, ohne aber zu überziehen. Es ist ein Spiel mit den Augen, ohne große Gesten oder vieler Worte. Die Frauen haben Humbert Humbert ausgetrickst, der davon überzeugt ist, dass mit der Umsetzung des Hijab auch der Wunsch nach Selbstbestimmung verflogen sein muss. Doch selbst im geschützten Raum, können sich die Frauen nicht sicher sein. Die Angst, auch noch den Rest an Würde verlieren zu können, ist ein ständiger Begleiter. Der Regisseur zeigt das auch ohne reißerische Momente, ohne falsche Spannungen, ohne filmtechnische Spielereien. Die Gesichter der Darstellerinnen allein zeigen, dass jederzeit auch alles möglich ist.

Lolita Teheran 2 - (c) WELTKINO Filmverleih

Kapitel III: DAISY MILLER
von Henry James
Hier springt der Film wieder einige Jahre zurück. Der Iran-Irak-Krieg beginnt. Frauen werden gesetzlich zur Verhüllung gezwungen. Liberale Professoren – wie Nafisi – werden von Lehrämter entfernt. Der Film beobachtet die Verzweiflung, die Verwunderung, die Hilflosigkeit derer, die an einen neuen und modernen Iran geglaubt haben. Der Glaube an eine offene Gesellschaft, die Religion als innere Einstellung versteht, nicht als vom Regime auferlegten Zwang. So geht es auch Daisy Miller in Henry James‘ gleichnamigen Roman, in dem die freigeistige Amerikanerin Daisy, die eine europäische Gesellschaft mit ihren festgefahrenen Normen schockiert und durcheinanderbringt.

Die Frauen in diesem Film sind Daisy, während die Männer hier die Rolle des Erzählers aus ‚Daisy Miller‘ einnehmen, die verwirrt und auch fasziniert zwischen beiden Kulturen stehen. Die einen sehen die menschliche Seite, und hoffen auf gesellschaftliche Vernunft. Die anderen verfallen den verordneten Parolen, welche sie selbst kaum einschränken. Alle Ansichten außerhalb der Regeln von Staat und Religion sind Anti-Islam und Anti-Iran. Eran Riklis nimmt sich immer wieder heraus diese Gegensätze sehr plakativ und subjektiv zu inszenieren. Grauzonen gibt es kaum, Schwarz und Weiß sind festgelegt. Aber warum sollte es auch Raum für eben diese Gegenseite geben, von der die Autorin selbst nie Billigung oder Akzeptanz erfahren durfte – weil sie eine Frau ist.

Lolita Teheran 4 - (c) WELTKINO Filmverleih

Kapitel IV: STOLZ UND VORURTEIL
von Jane Austen
1996 ist aus Azar Nafisis Literaturkreis etwas geworden, dass einer ‚Jane Austen Gesellschaft‘ nahe kommt. Die Frauen reden über Männer, Sex und den immer unbändiger werdenden Drang nach Freiheit – oder grundsätzlicher Selbstbestimmung. Sie lieben ihre Männer, die nicht immer das Herz am rechten, soziologischen Herz tragen. Vielleicht kann nicht alles auf die islamische Republik reflektiert werden. So wie es Elizabeth Bennett in Jane Austens Roman ergeht, wenn sie ihre Vorurteile verwerfen sollte, damit auch Mr. Darcy seinen Stolz fallen lassen kann.

Eran Riklis ist die Umsetzung von Nafisis Biografie hervorragend gelungen. Und am Ende schafft er es mit dem Jane Austen-Kapitel auch sehr gut, noch einmal einen Schritt zurückzutreten. Seine Protagonistinnen erkennen Alternativen, und betrachten auch ihre Situation differenzierter. Denn auf keinen Fall darf außer Acht gelassen werden, dass „Lolita lesen in Teheran“ eine Biografie ist, und somit der Film auch nie die Perspektive seiner Autorin verlässt. Er ist also zwangsläufig einseitig erzählt. Doch dann sind ständig Männer im befremdlichen Umgang mit Frauen zu beobachten, sind Milizen zu sehen, die gnadenlos auf Protestler einschlagen, hört man immer wieder die Schreie von gefolterten Frauen. Azar Nafisi hat Leben und Bildung in westlichen Ländern kennen und schätzen gelernt – mit religiöser Freiheit. Da erübrigt sich eigentlich schon die Frage, ob jener andere Seite in diesem Film überhaupt Gehör geschenkt werden muss.

Lolita Teheran 3 - (c) WELTKINO Filmverleih


Darsteller/innen: Golshifteh Farahani, Zar Amir Ebrahimi, Mina Kavani, Shabaz Noshir, Arash Marandi, Reza Diako u.a.

Regie: Eran Riklis
Drehbuch: Marjorie David
Nach dem Buch von Azar Nafisi
Kamera: Hélène Louvart
Bildschnitt: Arik Lahav-Leibovich
Musik: Jonathan Riklis
Produktionsdesign: Tonino Zera
Israel, Italien, Großbritannien / 2024
108 Minuten

Bildrechte: WELTKINO Filmverleih
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Kino gesehen abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar