WISHFUL DRINKING: Die Welt der Carrie Fisher

Author – Actress – Alcoholic

Carrie Fisher hat eine Solo-Bühnenshow. Mit therapeutischer Selbstzerfleischung redet sie dabei über Gott und die Welt. Das eine sind ihre Eltern und das andere ihr manisch-depressiver Zustand.

Carrie Fisher hat auch schon selbst gewählte Elektroschocktherapien hinter sich. Dadurch kann es passieren, dass sie auf der Bühne einfach Episoden vergisst, die zum Programm gehören. Um sich besser zu erinnern, hat sie ein Buch geschrieben. Sozusagen das Buch zum Stück: WISHFUL DRINKING.

“Hi, ich bin Carrie Fisher, und ich bin Alkoholikerin.”

Carrie Fisher hatte ihren ersten Kontakt mit Drogen im Alter von nur 13 Jahren. Es hat also nichts mit dieser einen Rolle in diesem Science-Fiction-Film zu tun. Ihre Mutter ist die Schauspielerin Debbie Reynolds, ihr Vater der Sänger Eddie Fisher. Stiefmutter ist Elizabeth Taylor. Oh, und Robert Mitchum hat sich ausführlich mit ihr darüber unterhalten, dass Drogen gar nicht einmal so gut sind.

Carrie Fishers Leben verläuft in Liebe innerhalb der Familie. Sie liebt ihre Eltern, ihre Eltern lieben sie. Sie liebt ihren Bruder, und so weiter, und so weiter. Dennoch führt der Weg nicht an Alkohol und Medikamenten vorbei. Zugegeben, ihr Vater ließ die Familie sitzen, um Liz Taylor zu ehelichen. Und Mutter Debbie kann man ohne Übertreibung exzentrisch nennen. Oder wie sollte man eine Person bezeichnen, die der eigenen Mutter und der leiblichen Tochter jeweils einen Vibrator schenkt?

„Ich habe mein Aussehen verkauft. Jedes Mal, wenn ich in den Spiegel schaue, muss ich George Lucas ein paar Dollar überweisen.“

Carrie Fisher singt und tanzt, tritt dabei mit ihrer legendären Mutter auf. Und sie beginnt eine Leinwand-Karriere. Sie genießt Schauspielunterricht und benötigt diesen dringend, als sie für einen erfolgreichen Science-Fiction-Film Sätze sprechen muss, die für die menschlichen Stimmbänder nicht geeignet sind.

Carrie Fisher sagt gerne, George Lucas habe ihr Leben zerstört. Aber wirklich Schuld gibt sie niemandem an dem Dilemma, immer wieder abzustürzen und der dunklen Seite der Drogen zu verfallen. Was sich anhört wie ein Niedergang durch aufkommende Popularität, hatte tatsächlich seinen Anfang sehr viel früher.

Carrie Fisher beschließt mit 28 Jahren, ihren ersten Roman zu schreiben, und lässt sich zu Recherchezwecken in eine Entziehungsklinik einweisen. Oder so ähnlich.
Ihr erster Roman nach dem Klinikaufenthalt ist POSTCARDS FROM THE EDGE, der in Deutsch tatsächlich BANKETT IM SCHNEE heißt. Warum auch immer. Und weil Carrie Fisher nur drogenabhängig ist, aber nicht faul, adaptiert sie auch gleich ihren Roman zu einem Drehbuch.

Carrie Fishers Karriere als Autorin verläuft wesentlich besser als die der Schauspielerin. POSTCARDS FROM THE EDGE – GRÜSSE AUS HOLLYWOOD wird von Mike Nichols mit Meryl Streep und Shirley MacLaine verfilmt. Es ist die Geschichte von Suzanne Vale, einer Schauspielerin, die unter ihrer alles dominierende Mutter zu leiden hat. Die autobiografischen Einflüsse sind nicht nur unverkennbar, sondern für die Autorin therapeutisch wirkende Selbstreflexion.

Carrie Fisher wird fast nebenher einer der besten Drehbuch-Doktoren Hollywoods. Sie half zum Beispiel SISTER ACT aus der Klemme und beseitigte die gröbsten Mängel an Spielbergs HOOK. Auf der Leinwand avanciert sie zur ‚besten Freundin der Hauptfigur‘, das Image der Nussschnecken tragenden Prinzessin wird sie nicht los. Dafür folgt der Roman SURRENDER THE PINK – BEZIEHUNGSWEISE LIEBE. Es sollte nicht verwundern, dass dieser Roman ein bisschen autobiografisch angehaucht ist. Diesmal werden die Beziehung und das Scheitern der Ehe mit Sänger und Liedermacher Paul Simon in die Geschichte eingewoben.

Carrie Fisher heiratet im richtigen Leben erneut und bekommt eine Tochter, welche sie Billie nennt. Ihr Mann Bryan Lourde, seinerzeit einer der einflussreichsten Agenten Hollywoods, verlässt nach einem Jahr die Familie. Lourde verlässt die Familie für einen anderen Mann. Genug Material, um Alkohol und Medikamentenmissbrauch zu rechtfertigen. Und genug Material, daraus den Roman DELUSIONS OF GRANDMA – BYE BYE, ICH LIEBE DICH zu machen.

„Männer schwul werden zu lassen, ist eine meiner Superkräfte. Ich schnapp mir mein rosa Telefon, nehme meinen regenbogenfarbenen Umhang, und schon bin ich da.“

Carrie Fisher schreibt mit bösem Witz. Es grenzt fast an Selbstzerfleischung, wie offen sie mit sich und ihrer Umwelt umgeht. Und wenn man bei jedem ihrer Romane aus tiefstem Herzen lachen wird, bleibt dieses Lachen auch schon mal im Halse stecken. Man liest heraus, wie befreiend das alles für die Autorin sein muss, und wie viel Schmerz auch in ihr brennt. Schmerz über ihr eigenes Unvermögen, mit ihrer Sucht zurechtzukommen. Schmerz über die Schmerzen, die sie anderen dabei zufügt.

Carrie Fisher geht fast schon brutal nach außen damit, wie sie durchs Leben geht und wie sie immer wieder scheiterte. Aber in keiner Zeile, in keinem Moment ihrer zahlreichen Selbstreflexionen trägt sie Schuld zu anderen. Sie lässt keinen Zweifel daran, dass SIE den Alkohol wollte, dass SIE immer wieder ihre Medikamente höher als erlaubt dosierte. Auf der anderen Seite macht dies das Lesen auch schmerzhafter und intensiver. Mit einem steten Lächeln auf dem Gesicht. Man möchte sich dafür selbst ohrfeigen, aber erst noch eine weitere Seite lesen.

Carrie Fisher lässt in dem noch nicht auf Deutsch erschienenen THE BEST AWFUL Suzanne Vale aus POSTCARDS wieder zwischen den Seiten wandeln. Noch stark fiktionalisiert bilden noch einmal die Ereignisse um Bryan Lourde, die gemeinsame Tochter und die plötzliche Homosexualität ihres Mannes den Hintergrund. Während außerhalb der Fiktion, im wirklichen Leben also, bei der Schauspielerin zudem diagnostiziert wird, sie sei manisch-depressiv.

Carrie Fishers nicht enden wollenden Rückfälle zu Alkohol und Medikamenten-Cocktails, dazu die manische Depression, welche man neuerdings Bipolare Störung nennt, machen sie natürlich für entsprechende Fachblätter interessant. Ihr Bekanntheitsgrad und der offensive Umgang mit ihren Problemen bringen ihr sogar einen Eintrag im Lehrbuch ABNORMALE PSYCHOLOGIE.

Carrie Fishers Bücher sind alles andere als variantenreich. Wobei es ungerecht wäre zu behaupten, kennt man eins, kennt man alle. Doch Fisher setzt ihre Charakteren stets ins selbe Umfeld mit denselben Problemen. Natürlich nicht sehr abwechslungsreich, doch kann man ihr zugute halten, dass sie über das schreibt, bei dem sie sich am besten auskennt.

Carrie Fisher ist nicht nur eine Film-Ikone, deren Konterfei auf unzähligen Bildern und auf den unterschiedlichsten Puppen, Figuren und Spielsachen zu finden ist. Sie ist auch mahnendes Vorbild für jene, die behaupten, jederzeit aufhören zu können. Und wenn man hört, wie sie die Hörbücher ihrer eigenen Romane spricht, dann ist das bitterböse Vergnügen gleich um ein Vielfaches lohnender. Und eindringlicher für alle, die das Schicksal teilen.

„Meine Familie muss so stolz auf mich sein. Denkt daran, dass es mich als PEZ-Spender gibt und ich im Lehrbuch für Abnormale Psychologie zu finden bin. Wer sagt, man kann nicht alles haben?”

Carrie Fishers kürzestes Buch ist ihr neuestes Werk WISHFUL DRINKING. Dafür hat sie den Weg der Romanstruktur verlassen. Es ist ihre persönlich verfasste Biografie, auf das Wesentliche reduziert. Und tatsächlich ist es eine Art Textbuch für ihre stets ausverkaufte Bühnenshow. Der beißende Humor ist ungebrochen. Auf manipulierende Emotionen verzichtet sie auch hier. Das liegt nicht jedem, weder gelesen noch als Hörbuch vorgetragen. Die Einblicke dabei sind einfach zu ehrlich und so offen, dass es leicht peinlich berührt.

Carrie Fishers WISHFUL DRINKING nennt die Personen nun beim Namen. Auch wenn die Geschichten in irgendeiner Form aus ihren Romanen bereits bekannt sind. Es ist die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Auch wenn manche Episode derart absurd wirkt, dass man ihren Wahrheitsgehalt einfach anzweifeln muss, bleibt es die in ihrer unverwechselbaren Art die bisherige Lebensgeschichte einer Frau von öffentlichem Interesse.

Carrie Fisher ist eine hervorragende, wenngleich nicht vielgestaltige Autorin. Sie versteht zu unterhalten, bleibt immer witzig und ist niemals oberflächlich. Ob die Wahrheit der Carrie Fisher das Abbild der Wirklichkeit ist oder nur Reflexionen von Erinnerungen, sei dahingestellt. Es ist die Welt der Carrie Fisher, und man lernt sie mit allen Schwächen kennen. Und genau das macht sie stark.

 

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