THE GUARD räumt richtig auf

Bisher war es Brendan Gleeson verwehrt, einen Film anzuführen. „Brügge sehen und sterben“ war eine kleine Annäherung, aber dieser wurde von Colin Farrell dominiert. Martin McDonagh hatte bei dem sagenhaften „Brügge“ Drehbuch und Regie zu verantworten. McDonaghs Bruder John Michael holt nun nach, was Gleeson durch die Konzentration auf Farrell in Brügge verwehrt blieb. Und er lag mit seiner Entscheidung verdammt richtig, Brendan Gleeson in der Hauptrolle zu besetzen – wenn nicht sogar das Drehbuch speziell für ihn verfasst wurde. Sergeant Gerry Boyle ist Polizist in einem kleinen irischen Kaff. Seine Fähigkeiten sind gefragt, als ein Mord geschieht, und sich eine große Rauschgift-Lieferung ankündigt. Aber Sergeant Gerry Boyle hat wichtigere Dinge im Kopf, als sich um des Gesetzes Ordnung kümmern zu können. Zum Beispiel sind da zwei ganz bezaubernde Prostituierte, die ihm die Zeit vertreiben.

„The Guard“ ist einer jener Filme, die mit ihrer Hauptfigur stehen oder fallen. Aber das von Regisseur John Michael McDonagh selbst verfasste Drehbuch sieht gleich für jeden Charakter etwas Besonderes vor. Der gruselige Junge mit seinem rosa Fahrrad, extrem unsensible Kriminalbeamte, Doyles sterbende Mutter und ein Fotograf, bei dem man nie erfährt, ob er für die Polizei oder die Zeitung arbeitet. Doch am besten funktioniert das Drogen verschiebende Dreigespann mit Liam Cunningham, Mark Strong und David Wilmot. Ihre Dialoge und Interaktionen lassen alles vermuten, bloß keine bösen Jungs. Wie nebensächlich sie sich über Verbrechen unterhalten und dabei ständig vom Thema abkommen, sollte als Lehrstück in den Filmhochschulen gezeigt werden.

Am Ende ist es aber doch Brendan Gleesons Film, und so gut auch alle anderen Figuren beschrieben und gespielt sind, beherrscht er jede Szene. Er ist subversiv und rücksichtslos. Er sagt, was er denkt, und schiebt sich bei einem tödlichen Verkehrsunfall erst einmal die Drogen der Opfer in die eigene Tasche. Doch der kalt und an seinem Job desinteressiert scheinende Gerry Boyle überrascht im Laufe des Films immer wieder. Unvermittelt kann er charakterlich so vielschichtig werden, dass seine sich immer wieder ändernden Wesenszüge die Stimmung von „The Guard“ bestimmen. Der dämliche deutsche Untertitel „ein Ire sieht schwarz“ rührt wohl daher, dass man dem überragenden Gleeson einen ebenfalls sehr präsenten farbigen Don Cheadle an die Seite stellte. Als amerikanischer Abgesandter des FBI versucht er vergeblich ein Gegengewicht der Vernunft zu sein, scheitert aber unentwegt an der irischen Mentalität in dem kleinen Kaff. Eine immer währende, launige Eigenschaft irischer Charakterbeschreibungen, der Ire ist eben etwas anderes.

„The Guard“ ist ein herrlich unterhaltsamer Film, der von schreiend komisch bis nachdenklich und hin zu einem spannenden Showdown rundum gelungen ist. Kein großer Action-Kracher, aber umso effektiver mit seinem derben Charme und der unheilvollen Aussicht, dass jederzeit alles passieren kann. Wer irisches Kino kennt, weiß, was ihn erwarten kann. Und das bekommt der Zuschauer mit „The Guard“ auch in seinem vollen, skurrilen Umfang geboten. Ungewöhnliche Charaktere, ungewöhnliche Geschichten und so viel Menschlichkeit. „The Guard“ könnte die kriminalistische Fortsetzung von Roddy Doyles Barrytown-Trilogie sein, die in  „Commitments“, „Snapper“ und „Fish & Chips“ kongenial der irischen Seele ins Herz blickte. Als Bücher wie auch in den Verfilmungen.

Jetzt hat Brendan Gleeson mit „The Guard“ diesen eigenen Film, der ihm mit Brügge noch verwehrt blieb, weil sich die Regie auf ihr angedachtes Zugpferd Colin Farrell konzentrierte. Und das ist der grundlegende Unterschied zwischen den beiden Filmen. John Michael Donagh setzt das Konzept des Films über einzelne Komponenten, und erschafft somit ein stimmungsvolles Ganzes. Und in dem stimmigen Ganzen brilliert ein herausragender Brendan Gleeson. In keiner einzigen Filmminute nimmt er den anderen Figuren die Luft zum Agieren, aber er bleibt einfach herausragend. Und auch in seinen technischen Ausführungen lässt der Film nichts zu wünschen übrig. Wenngleich Larry Smiths Nachtaufnahmen grundsätzlich dazu tendieren, allzu hell und artifiziell ausgeleuchtet zu sein.

Zusammengefasst könnte man „The Guard“ wesentlich komprimierter anpreisen. Es ist ein verdammt unterhaltsamer Film, der mit fantastischen Darstellern und einer perfekten Umsetzung schlichtweg Spaß macht. So einfach kann das auch sein.

Darsteller: Brendan Gleeson, Don Cheadle, Liam Cunningham, David Wilmot, Rory Keenan, Mark Strong, Fionnula Flanagan, Dominique McElligott u.a.
Regie & Drehbuch: John Michael McDonagh
Kamera: Larry Smith
Bildschnitt: Chris Gill
Musik: Calexico
Irland / 2011
zirka 96 Minuten

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