LES MISÉRABLES dreamed a dream

LES MISÉRABLES – Bundesstart: 21.02.2013

Wenn man sich fragen sollte, wen man mit einer unendlich wiederholten Verfilmung von Victor Hugos Stoff jetzt eigentlich noch in den Kinosessel locken will, dann genügen die ersten Minuten von Tom Hoopers Inszenierung. Ganz offensichtlich wollte der KINGS SPEECH Regisseur einmal von den leisen, aber großen Filmen Abstand gewinnen. Herausgekommen ist ein nur großer Film, ein sehr großer, der Kinofans und Musical-Liebhaber gleichermaßen in den Kinosessel zu locken versteht. Wenn der laxe Vergleich vom „ganz großen Kino“ einmal unbestreitbar zutrifft, dann bei dieser x-ten Verfilmung von Victor Hugos LES MISÉRABLES, das sich als Musical zu den drei meist gespielten und populärsten Bühnenshows der Welt zählen darf.

Die Kamera taucht aus dem umtosten Meer auf und gibt den Blick frei auf ein riesiges Schiff, das von Strafarbeitern in ein Trockendock gezogen wird. Wir lernen den Verurteilten Valjean kennen, der unter den gestrengen Augen seines Wächters Javert, seinen letzten Tag in Gefangenschaft abarbeitet. In dieser ersten Szene ist alles, was der Zuschauer auch für den Rest der über 150 Minuten zu erwarten hat. Alles ist episch. Alles ist mehr als das Leben. Die Bilder sind gewaltig, die Bühnenbilder gigantisch, gespielt wird mit einer erschreckenden Energie, es gab nie mehr Schmutz auf der Leinwand, gelitten wird wie in keinem anderen Film. Der Zuschauer erlebt eine Reizüberflutung, die man erst einmal verkraften muss.

Hooper und Kameramann und Bildgestalter Danny Cohen haben sich dafür eine besondere, aber auch gewöhnungsbedürftige Bildsprache einfallen lassen. Die Gesangsnummern werden überwiegend in Halbnahen-Einstellungen direkt in die Kamera gesungen. Choreografierte Tanz- oder Showeinlagen reduzieren sich auf eine Handvoll. Und das ist verdammt wenig bei einem Musical, in dem, bis auf ebenfalls eine Handvoll gesprochener Sätze, alles gesungen wird. Es ist eben alles mehr, als bei anderen Filmen. Das Hooper seine Darsteller am Set Live singen und aufnehmen ließ, kommt dem Film dahingehend entgegen. Die Sänger richten sich mit dem Gesang nach ihrem Spiel, und müssen sich eben nicht einer voraufgezeichneten Musik unterwerfen. Das gibt allem noch einmal eine zusätzliche Intensität, welche bei Hugh Jackman und Russell Crowes „The Confrontation“ besonders zur Geltung kommt. Bei Anne Hathaways „I Dreamed a Dream“ allerdings erreicht diese überwältigende Dynamik einen Höhepunkt, der im weiteren Verlauf einfach nicht mehr zu überbieten ist. Diese viereinhalb Minuten sind in einer einzigen Einstellung gedreht, die nur Hathaways schmutziges und sehr trauriges Gesicht zeigt. Hier geht LES MISÉRABLES ans Herz und an die Nieren.

Aber LES MISÉRABLES ist ganz großes Kino. Und man hat ständig das Gefühl, das er sich dabei selbst im Wege steht. Großes wird überbordend dargestellt, was schmutzig sein sollte, könnte nicht schmutziger sein, und was pathetisch sein kann, hat man nicht pathetischer erlebt. Ohne Zweifel ist Tom Hooper ein grandioses Epos gelungen, das Musical-Liebhaber überwältigen wird und Cineasten frohlocken lässt. Es bleibt aber ganz schwer zu sagen, ob das alles wirklich so im Sinne der Inszenierung zusammenpasst, weil dem Publikum auch keine Möglichkeit zum Durchatmen gegeben wird. „Ganz großes Kino“ ganz gewiss, aber KINGS SPEECH hat auch gezeigt, das weniger manchmal viel mehr ist. Man darf durchaus auch einmal einen Schritt zurück treten.

Darsteller: Hugh Jackman, Russell Crowe, Anne Hathaway, Amanda Seyfried, Sacha Baron Cohen, Eddie Redmayne, Aaron Tveit u.v.a.
Regie: Tom Hooper
Drehbuch: William Nicholson, Alain Boublil, Claude-Michel Schönberg, Herbert Kretzmer – Musik: Claude-Michel Schönberg, Text: Herbert Kretzmer
Kamera: Danny Cohen
Bildschnitt: Chris Dickens, Melanie Oliver
Produktionsdesign: Eve Stewart
USA / 2012
zirka 158 Minuten

Bildquelle: Universal Pictures / Universal Pictures International
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