THE MASTER ist kein Scheinheiliger

THE MASTER – Bundesstart 21.02.2013

Es geht nie um Schuld und Sühne, nicht um das große Ganze, niemals um Schwarz und Weiß. Wenn Paul Thomas Anderson einen Film macht, dann hat er mit der Komplexität des Individuums zu tun. So exzessiv MAGNOLIA war, so episch sich THERE WILL BE BLOOD ausnahm, was außen herum stattfindet, ist unterstützendes Beiwerk, aber niemals im Fokus. Dann hieß es, Anderson würde einen Film über Kirchengründer L. Ron Hubbard machen, und der protestierende Aufschrei war zu hören, verhielt sich aber im Vergleich zu den Erwartungen sehr minimalistisch. Weltverschwörungstheoretiker werden aber nicht müde zu behaupten, Universal hätte die Finanzierung des Filmes gestoppt, weil Scientology Einfluss genommen hätte. Anderson hingegen, der Scientologies Hubbard unumwunden als Vorlage für seine Hauptfigur angab, offerierte die Dokumentation LET THERE BE LIGHT für seine Inspiration. John Huston drehte diese verstörende Dokumentation von 1944 bis 1946 im Auftrag des Verteidigungsministeriums, um Veteranen mit Posttraumatischem Stress-Syndrom zu dokumentieren. Das Ergebnis war kein Aushängeschild für das Militär. Der Film wurde umgehend aus dem Verkehr gezogen und erst nach beherzten Bemühungen von Vertretern der Filmindustrie 1980 wieder freigegeben.

Freddie Quell und Lancaster Dodd sind beide WWII-Veteranen. Ersterer kommt mit Krieg und dem Leben danach überhaupt nicht mehr zurecht, der andere hat etwas daraus gemacht. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Sektengründungen und spirituelle Bewegungen einen breitgefächerten Nährboden. Dass L. Ron Hubbard als Vorlage für Lancaster Dodd herhalten musste, ist wahrscheinlich dem Umstand zu verdanken, dass Hubbards Scientology die einzige Gruppierung ist, welche die Zeit überdauert hat und somit aktuell im Bewusstsein ist. Lancaster Dodd nennt seine Bewegung “Die Sache”, und seine Anhängerschaft in der gehobenen Mittelschicht wächst. Wieder einmal in volltrunkenem Zustand, verirrt sich Freddie Quell unbemerkt auf die gerade vom Hafen ablegende Yacht Dodds. Die Reise geht von Los Angeles durch den Panama-Kanal die Ostküste hinauf. Anstatt den unbelehrbaren Querulanten und steten Trinker Freddie über Bord zu werfen, entdeckt Lancaster in dem gebrochenen Mann den perfekten Probanden, um die Methoden des “Processings”, der Verarbeitung, verbessern zu können. Zutiefst persönliche Fragen werden wiederholt gestellt, bis der psychologische Druck kein Ausweichen mehr zulässt. Letztendlich entpuppt sich “Die Sache” als bunter Mix diverser psychologischer Therapieansätze, untermalt mit einem Hokuspokus aus Mythen und Legenden über die Allmacht des Menschen und seinen unsterblichen Geist.

Was sich wie die perfekte Basis für die Abrechnung mit Scharlatanerie und hausgemachten Ideologien ausnimmt, lässt Paul Thomas Anderson vollkommen kalt. Ihm liegt nicht daran, den Wahnsinn selbsternannter Kirchen zu kommentieren, oder ihn gar bloßzustellen. Es gibt eine Szene, in der The Master, wie Dodd von seinen Anhängern genannt wird, von einem Außenstehenden in Frage gestellt wird. Und wenn Philip Seymour Hoffman als Dodd darauf antwortet, dann wird dem Zuschauer sehr schnell bewusst, wie eine psychologisch dominierende Persönlichkeit einem den größten Unfug plausibel machen kann. Der zweifelnde Fragesteller wird am selben Abend noch unangenehmen Besuch von Freddie erhalten. Allerdings ist dieser nicht vom Master diktiert, sondern ein Selbstläufer, der das Gefüge und die Faszination einer Sekte verdeutlicht. Aber nach wie vor bleibt Andersons Augenmerk bei seinen Figuren und sträubt sich gegen die eigentliche Sinnfrage. Viel spannender als die Entmystifizierung von falschen Propheten und fragwürdigen Sekten ist die psychologische Tiefe von zwei nur scheinbaren Individuen.

Lancaster Dodd braucht Freddie Quell genauso wenig wie umgekehrt Freddie Lancaster braucht. Dodds Frau warnt ihren Mann sogar davor, dass der Querulant nicht gut für “Die Sache” sei. Was beide Männer allerdings aneinander bindet, ist gerade diese geglaubte Unabhängigkeit voneinander. Daraus entsteht ein gefährlicher Zirkelschluss für beide. Freddie denkt nie wirklich daran, mit dem Trinken aufzuhören, und kann auch gar nicht anders, als spontan gefährlichen Unfug anzufangen. Weil er sich nicht unterordnen will, unterwirft sich Freddie gewissermaßen doch seinem Meister, denn dieser akzeptiert als einziger die Art des schwierigen Trinkers, und das weiß Freddie zu schätzen. Auf der anderen Seite hat der charismatische Sektenführer in Freddie so etwas wie ein Leuchtfeuer der außenstehenden Gesellschaft, das ihn nicht den Bezug zur Realität verlieren lässt. Lancaster glaubt in Freddie jemanden zu sehen, der weder Speichellecker noch unterwürfiger Anbeter ist. An Freddie Quell zu arbeiten, aber auch immer wieder zu scheitern, gibt Lancaster Dodd aus seinem Umfeld heraus das letzte bisschen Normalität und die Erkenntnis, dass an der “Sache” noch hart gearbeitet werden muss.

Philip Seymour Hoffman und Joaquin Phoenix, sein erster Film nach dem Aussteigerprojekt I’M STILL HERE, schenken sich nichts, dem Zuschauer dafür umso mehr. Jeder für sich ist schon eine emotionale Wucht, sie stecken an und faszinieren, man ist und bleibt bei ihnen. Zusammen haben sie dann etwas Gespenstisches, wo die blanke Faszination in pathologische Hingabe umschlagen kann. Wenngleich Amy Adams Rolle als Peggy Dodd keine unwesentliche für die Geschichte ist, bleibt sie zugunsten der Hauptfiguren im Hintergrund. Ihre wenigen führenden Szenen prägen sich allerdings ein und festigen Adams Weg, mehr und mehr eine bestimmende Figur in Hollywood zu werden. Laura Dern kommt leider kaum zu Zug, dafür offeriert ihr Charakter einige interessante Spekulationsmöglichkeiten für die Geschichte von der “Sache”.

Die Frage, warum Anderson allerdings ausgerechnet auf 65 mm drehen ließ, kann auch nur durch Spekulation angereichert werden. Seine Vorliebe, auf Film zu drehen und auch physisch zu schneiden, ist bekannt. Dafür aber auf ein seit fünfzehn Jahren nicht mehr verwendetes Format zurückzugreifen, da steckt die Liebe tatsächlich im übertriebenen Detail. Die Auserwählten wird es sicherlich erfreut haben, die einer der dem eigentlichen Filmstart vorausgegangenen Sondervorstellungen beiwohnen durften, wo THE MASTER auch auf 70-mm-Film vorgeführt wurde. Der Rest der Welt muss mit einer digitalen Kopie vorlieb nehmen. Nichtsdestotrotz bleibt THE MASTER ein äußerst anspruchsvolles Kinoerlebnis, welches sich nicht so leicht nehmen lässt wie Andersons bisherige Filme, aber mit seiner Intensität und kaum zu beschreibenden Faszination Andersons bisherigen Filmen in nichts nachsteht. Man muss also keine falsche Kirche oder irregeleitete Sekte demontieren, um die Geschichte einer solchen zu erzählen. Letztendlich geht es um Menschen und ihre Beziehung zueinander. Und solange es Menschen wie Freddie Quell gibt, werden sie Menschen wie Lancaster Dodd nur noch mehr Ansporn verleihen.

THERE WILL BE LIGHT von John Huston ist auf YouTube in voller Länge zu sehen

Darsteller: Joaquin Phoenix, Philip Seymour Hoffman, Amy Adams, Jesse Plemons, Laura Dern, Christopher Evan Welch u.v.a.
Regie & Drehbuch: Paul Thomas Anderson
Kamera: Mihai Malaimare Jr.
Bildschnitt: Leslie Jones, Peter McNulty
Musik: Jonny Greenwood
Produktionsdesign: David Crank, Jack Fisk
USA / 2012
zirka 144 Minuten

Bildquelle: Senator Entertainment / The Weinstein Company
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