Editorial: CATS

Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONALMainstreamCATS – Bundesstart 25.12.2019

Als Jon Favreau sich entschloss, sich für die Neuauflage von DSCHUNGELBUCH bei Disney durch zu beißen, wollte er das als 95 Prozent am Computer generierten Live-Action-Film machen. Seine Intention war ziemlich einfach, wenngleich tollkühn. Er wollte wissen, wie weit man gehen konnte. Was man letztendlich konnte, war der ganze Weg. Das Ergebnis überragend, und jeden Cent wert. Vielleicht hätte Amblins Animationsstudio Amblimation den gleichen Weg eingeschlagen, wenn sie nicht in der Phase der Vorproduktion die Pforten geschlossen hätten. Schließlich ging es um singende und tanzende Katzen. Das Musical ‚Cats‘, eines der erfolgreichsten Musicals weltweit, war eigenartigerweise in seinen 38 Jahren bisher nur einmal auf die Leinwand gebracht worden. Und das war, salopp gesprochen, nur eine etwas aufwendiger abgefilmte Bühnenshow.

Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONALDer ursprüngliche Produktionsgedanke verflüchtigte sich, als sich zu dem gesungenen Reigen der Jellicle Cats Regisseur Tom Hooper gesellte. Seine filmische Interpretation von LES MISERABLES war eine gute Visitenkarte. Und Hooper hatte sogleich ganz großartiges vor, das setzte man auch so um, und hier sind sie nun. ‚You will believe‚ oder auch ‚the most joyful event of the holiday season‚ lauten die Schlagzeilen. Unbeirrt der katastrophalen Resonanzen welche die vorgeschobenen Trailer ein halbes Jahr vorher herauf beschworen hatten. Doch der kluge Kinogänger ist stets gewappnet, man soll den Film nicht wegen des Trailers verteufeln. Aber man befürchtete Schlimmes, und es kam schlimmer. Und wer sich noch immer in Unwissenheit ob diesem ominösen Geplappers wiegt, der muss die Tage nach der Premiere im Heaviside Layer verbracht haben (ein eherner Beweis, dass sich der Autor dieser Zeilen mit dem Film auseinander gesetzt hat).

Nur weil man den ganzen Weg gehen kann, heißt das nicht, dass man diesen Weg auch gehen muss. Und erst recht nicht, wenn man versucht ist, dabei durch unbekannte Gassen zu streunern. Ja, wie überall anders auch, geht es einzig und allein um Visuelle Effekte und ein verqueres Konzept. Solche Zeilen mögen bitter und mit der Zeit auch ermüdend sein, aber damit muss Tom Hooper einfach fertig werden. Jetzt ist CATS ohnehin ein extrem mageres Stück an Inhalt und Aussage. Für 105 Minuten Film (ohne Abspann) ist eigentlich keine Handlung vorhanden. Im Grunde ist CATS weniger Musical als Nummernrevue. Im Zentrum steht die ausgesetzte Victoria, der sich viele Katzen namentlich und mit Hintergrundgeschichte in Liedform vorstellen. Noch bevor der neue Morgen anbricht gibt es dann soetwas wie einen obskuren Gewinner, der in den Heaviside Layer aufsteigen darf um wiedergeboren zu werden.

Es ist eine sehr merkwürdige Prämisse, sich die Seele aus dem Leib zu singen um sterben zu dürfen. Auch wenn man sich pudelwohl fühlt (Hundebezug ohne Hintergedanken). Dafür stehen auch die Musiknummern im Vordergrund, mal peppig, mal schnulzig, aber im typischen Musical-Modus, wo nur ganz wenig Lieder eigenständig hörbar sind. Am bekanntesten natürlich ‚Memory‘, auf das man entgegenfiebert und auch den Höhepunkt der Show markiert. Jennifer Hudson wird in dieser Fassung die Aufgabe zuteil, was sie stimmlich sehr eindringlich meistert. Allerdings schauspielert sie mehr im Gesang und lässt dabei ein wenig den emotionalen Pathos vermissen, der bei anderen Sängerinnen so schaurig schön übertrieben wird. Das ist CATS.

Copyright UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONALEs ist schwer nachzuvollziehen, woran die Optik mit den Kulissen scheitert. Möglich wäre mangelnde Kooperation zwischen Kamera-Department und dem Set Design. Bei näherer Betrachtung bleiben die Größenverhältnisse von den Darstellern zu den einzelnen Settings konstant im Maßstab. Nur in der Dynamik von Schnitt und Kamerabewegung bekam der Autor dieser Zeilen den irritierenden Eindruck, dass die Größe der ‚Katzen‘ zu ihrem menschlichen Umfeld immer wieder stark variiert. Vorstellbar wäre eine intensivere Absprache der zwei Gewerke gewesen, was die perspektivischen Winkel im Kulissenbau auf der einen Seite angeht, und anderseits eventuell die verschiedenen Kamera-Brennweiten in den einzelnen Takes betrifft.

Und da man gerade das Wort Dynamik verwendete, das kann einen Film mit viel Tanz und Musik durchaus positiv aufwerten. Auch wenn es im Grunde darum geht, welche Katze sterben darf. Doch wenn sich die Produktion damit brüstet, und das Marketing nicht müde wird zu betonen, Francesca Hayward die erste Ballerina des Royal Ballet zwischen all den wesentlichen bekannteren Darstellern als Hauptdarstellerin besetzt zu haben, dann will man diese auch tanzen sehen. Aber die wenngleich sehr treibende Inszenierung lässt nur in ganz wenigen, eigentlich viel zu wenigen Szenen einen längeren und im Ausschnitt weiteren Blick auf Haywards Kunst zu. Ein Katzenjammer, wenn das Talent weniger zur Geltung kommt, wie es dem Zuschauer gegönnt sein sollte.

Doch was nutzt das kratzen und scharren, wenn ohnehin die denkbar schlechteste Idee war, menschliche Darsteller mit Computer generierten Fellen zu verkleiden, ihre Gesichter allerdings lediglich mit Makeup beizubehalten. Ja, es ist schon überall auf und nieder bemängelt worden, es verstört aber weiterhin ungebrochen, die menschlichen Geschlechtsmerkmale zu sehen. Und es hat auch nichts verspieltes, oder erst recht nichts künstlerisches, wenn Victoria und Mistofelees ihre Gesichter katzenähnlich aneinander reiben, geschweige denn mit realen Stimmen gefaucht und geknurrt wird.

You will believe‚ und ‚the most joyful event of the holiday season‚ wurde jedem Ticketkäufer versprochen. Aber es ist so, dass man nicht glauben kann was einem da geboten wird, und das freudigste Ereignis der Feiertage bleibt dann doch eher der betrunkene Onkel, der in den Weihnachtsbaum stürzt. Nur weil man jetzt wirklich alles machen kann, muss man es nicht zwangsläufig machen. Irgendjemand mit Verantwortung muss das doch gesehen haben, noch bevor man diesen Film in die Kinos brachte. Aber auch die meisten Katzen erkennen nicht ihr Spiegelbild.

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Darsteller: Francesca Hayward, Taylor Swift, Idris Elba, Laurie Davidson, Rebel Wilson, Ian McKellen, Dame Judi Dench, Jennifer Hudson, Ray Winston u.a.
Regie: Tom Hooper
Drehbuch: Lee Hall, Tom Hooper
nach T.S. Eliot und Andrew Lloyd Webber
Kamera: Christopher Ross
Bildschnitt: Melanie Oliver
Musik: Andrew Lloyd Webber
Produktionsdesign: Eve Stewart
Special Effects Supervisor: Paul Dimmer
USA – Großbritannien / 2019
110 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL PICTURES INTERNATIONAL
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