FRESH

Fresh - Copyright 20th CENTURY STUDIOS–  15.04.2022 – STAR via DISNEY+

Natürlich erweist sich die Liebe auf den ersten Blick nicht als die wirklich große Liebe, wenn diese in den ersten Filmminuten passiert. Aber hätte man es nicht vorhersehen müssen? Wir als Zuschauer tun es, aufgrund des zeitlichen Ablaufs. Und der Mutualismus zwischen Zuschauer und Kino generiert die Auffassung, dass die Protagonisten dies gleichermaßen vorhersehen müssten. Im Spannungskino gibt es nur allzu oft die Lage einer Bedrohungssituation, die willkürlich erscheint und Wehklagen über Einfallslosigkeit bereitet. Die junge Single-Frau Noa trifft den charmanten Steve in der Frischeabteilung eines Supermarktes. Wenn sie ihm ihre Telefonnummer gibt, nur wegen ein paar Sätzen an originellem Wortwechsel, ist das absolut in Ordnung. Es ist zweifelsfrei dem weiblichen Impuls der Macher zu verdanken, dass diese Sequenz weder willkürlich scheint, noch Wehklagen bereitet.

Drehbuchautorin Lauryn Kahn meint im ‚Hollywood Reporter‘, als Anhängerin des Horror-Genres wollte sie einen solchen Film schreiben, der aber auch ein weiteres Feld an Zuschauern erreicht. Das weitere Feld bedeutet im Falle von FRESH, das andere Ende des Genre-Spektrums. Und so wurde Mimi Caves Langfilm-Regiedebut ebenso auch punktgenaue romantische Komödie, die zuerst einen anderen Leidensweg beschreibt als den von Blut und Tränen.

Noa will endlich einen Mann an ihrer Seite. In einer überaus gelungen Kollage von stimmigen Dialogen und witzigen Szenen werden ihre Bemühungen aufgedeckt. Und es ist witzig, weil vieles davon so nachvollziehbar und vertraut ist. Es gipfelt in einer Verabredung die über eine Dating-Plattform zustande kam, und die man als Horror des Alltags bezeichnen muss. Das Mimi Cave und Lauryn Kahn uns als Zuschauer so nahe an Noas Leben lassen, macht die plötzliche Hingabe für Steve absolut verständlich, der eigentlich Brendan heißt.

Mit einem ausgefeilten Lichtdesign bestimmt FRESH die unterbewusste Wahrnehmung, und gibt jedem Handlungsteil seine stimmige Atmosphäre. Das dominante Rot in Steves Haus, der eigentlich Brendan heißt, ist dabei nicht sehr subtil, aber konterkariert mitunter auch den Ton in der Inszenierung. Nachdem Noa die Einladung ihrer interessanten neuen Bekanntschaft angenommen hat, verändert sich auch der Erzählstil und erweitert sich um einige Ebenen, verliert aber nie den Aspekt der Beziehungskomödie.

Fresh 2 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS

 

Mit interessanten Wendungen und geschickt eingefädelten Ideen, wandelt Cave ihren Film zu Psychothriller, Satire, Splatter-Film und Gesellschaftskritik gleichermaßen. Es ist unheimlich spannend dabei zuzusehen, wie sich Noa und Brendans Beziehung entwickelt, nachdem er seine Leidenschaft für das sezieren von Menschen offenbart hat. Die Raffinesse liegt im kohäsiven Aufbau, wo keine Handlung unvermittelt kommt, und sich Dialoge auf vorangegangene Szenen stützen.

FRESH ist aber nicht vorhersehbar und birgt viele Überraschungen, die aber nicht um der Spannung Willen aus dem Ärmel geschüttelt werden, sondern bereits unauffällig vorweg genommen wurden. Je derber sich Brendan in seiner blutigen Profession austobt, desto undurchsichtiger werden auch die Haltungen der Figuren. In einem Film der klarstellt, dass alles möglich ist, werden auch die Charaktere zu unberechenbaren Elementen. Wie zum Beispiel ein vermeintlich strahlender Held, der beim Klang eines Pistolenschusses auf dem Absatz kehrt macht.

Mit Daisy Edgar-Jones und Sebastian Stan haben sich zwei sympathische Leitfiguren gefunden, die mit ihrem harmonischen Zusammenspiel das gruselige Szenario funktionieren lassen. Mit ihnen ist es ein Leichtes die Konventionen des Thrillers ins Absurde zu beugen, ohne dass der Film an Spannung verliert. Gerade weil die Absichten der Figuren im Verborgenen bleiben, und sich daraus auch sehr viel Handlungsspielraum ergibt. Ein Spielraum, den besonders Sebastian Stan für seinen extrovertierten Brendan zu nutzen versteht.

So leidenschaftlich sich die Beziehung von Noa und Brendan auch ausnehmen mag, so explizit gestaltet sich FRESH dann auch in der zweiten Hälfte. Die Freunde der wahren Kuschelromantik sind hier jedenfalls ganz schlecht beraten. Alleine die groteske Grundidee schafft Unbehagen. Und auch wenn sich Mimi Cave trotz vieler günstiger Gelegenheiten in Blut und Gekröse zurück nimmt, hat der Film sehr deftige Momente. Seine wahre Intensität gewinnt er aber daraus, dass er trotz allem eine sehr feinsinnige Betrachtung über Leidenschaften und Beziehungen ist.

Fresh 1 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS

 

Darsteller: Daisy Edgar-Jones, Sebastian Stan, Joo T. Gibbs, Dayo Keniyi, Andrea Bang u.a.
Regie: Mimi Cave
Drehbuch: Lauryn Kahn
Kamera: Pawel Pogorzelski
Bildschnitt: Martin Pensa
Musik: Alex Somers
Produktionsdesign: Jennifer Morden
USA / 2022
114 Minuten

Bildrechte: 20th CENTURY STUDIOS
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