Pixar’s ROT – Turning Red

Rot - Copyright DISNEY / PIXARTURNING RED
– DISNEY+  11.03.2022

Als Erbsenzähler und Pedant könnte man schon behaupten, dass man die allgemein befürchtete Einflussnahme von Disney auf die letzten Pixar-Produktionen bemerkt hat. Und bei ROT ist dieses Gefühl nicht anders. Die dreizehnjährige Meilin lebt ein ganz normales Teenager-Leben in Toronto. Sie hat einen Kreis bester Freundinnen mit jeweils unterschiedlichen Charaktereigenschaften, liebt die angesagte Boygroup 4*Town, gibt wahnsinnig gerne mit ihrem Strebertum an, und fühlt sich als der coolste Teenager überhaupt, wie alle Kinder in ihrem Alter und ihrem Umfeld. Genau auf diese Altersgruppe ist ROT auch zugeschnitten, viel mehr Freiraum nach oben oder unten lässt der Film dann auch nicht. Das lässt die Befürchtungen der Disney-fizierung wieder konkret werden. Aber man muss auch einen Schritt zurück treten können, denn in welchem Disneyfilm der letzten 85 Jahre hat man schon einmal eine Mutter ihre dreizehnjährige Tochter fragen hören: „Hat… die ‚rote Pfingstrose‘ geblüht?“

Nahmen Pixar-Produktionen stets den Begriff Familienfilm so streng wie sonst kein Studio, in dem sie den intellektuelle Anspruch tatsächlich an alle Altersgruppen ausrichteten, nimmt sich ROT hierbei komplett zurück. Der Film enttäuscht, weil die Namen der maßgeblichen Studios eine Erwartungshaltung aufbauen, die nicht erfüllt wird. Letztendlich war es aber eine kreative Entscheidung, die der Erzählung und dem strukturellen Ablauf zugute kommt.

Wie der riesige Rote Panda, der witzigerweise auch Kleiner Panda genannt wird, als Metapher in der Handlung einzuordnen ist, darf frei interpretierbar bleiben. Einfach ist es nicht. Eine Interpretation ist auch nicht zwingend notwendig angesichts der ohnehin sehr komplexen Thematik, die hier behandelt wird. Was damit beginnt, dass Meilin während der Hausaufgaben ihre Gedanken schweifen lässt, warum ihre Freundin Miriam den Kassierer des Supermarktes so toll findet. Eine Antwort findet sie nicht, nur unglaublich verwirrende Gefühle, die auf sie einstürzen.

Diese unbekannte Gedankenwelt und die einhergehenden Panikattacken verwandeln Mailin in einen zwei Meter großen Roten Panda. Solange, bis sich ihre Emotionen wieder auf eine ihr vertraute Ebene einpendeln. Es ist ein alter Fluch, der auf den Frauen der Familie liegt. Durch ein Ritual wird diese Verkörperung von unkontrollierten, manchmal unbeherrschten Gefühlen in ein mit der jeweiligen Frau verbundenen Artefakt eingeschlossen und gebannt. Aber selbst nach einigen sehr peinlichen Vorfällen, beginnt Meilin ihren Panda zu akzeptieren, und lernt schließlich auch ihn zu kontrollieren.

Der ganze Hokuspokus mit dem knuffigen Panda, dem übernatürlichen Ritual, und einem einhergehenden Showdown, ist mehr ein unterhaltsames Zugeständnis an die Zielgruppe. Es lenkt nicht ab, sondern bringt immer wieder den Fokus sanft auf den Kern der Geschichte. Der Panda als zuckersüßes Versatzstück, dass der schwierigen, aber faszinierenden Realität von Jungs gegenüber steht. Ein ständig wechselnder Übergang eines unbekümmerten Mädchens zu einer selbstreflektierenden, jungen Frau. Ein manchmal peinigender Weg zwischen Selbstbewusstsein und Hilflosigkeit. Und vieles ruft das elektrisierende Kribbeln eigener Erfahrungen in Erinnerung.

Turning Red 2 - Copyright DISNEY / PIXAR

 

ROT überzeugt mit einem ausgezeichneten Gespür für die Dynamik pubertierender Jugendlicher. Seien es die individuellen Gruppen-Rituale, die Schulhierarchien, die oftmals überforderten Eltern, die kindliche Überheblichkeit, die unablässig neckischen Herablassungen, und vor allem die Musik. Das unergründlich scheinende Phänomen von Boygroups, das dennoch so leicht zu durchschauen ist. Hier die 4*Town, von den Mädchen angehimmelt, und Vorbilder für die Jungs. Jedes Gruppenmitglied verkörpert einen anderen Charaktertypen. Und vollkommen am Aspekt der Kinder vorbei, will man als gönnerhafter Erwachsener darauf aufmerksam zu machen, dass sich ‚richtige‘ Musik anders anhört.

Die fünf Songs für 4*Town wurden von Billie Eilish und Finneas O’Connell geschrieben, die somit eine perfekte Brücke vom Heute zu den Boygroup-Attraktionen *NSYNC oder Backstreet Boys bauen. Denn ROT spielt 2002, und umgeht die lästige Auseinandersetzung mit Smartphone und sozialen Netzwerken, die nur verkompliziert hätten, was der Film auch so perfekt zu transportieren vermag. Es ist ein Film für Dreizehnjährige, mehr für Mädchen als für Jungs, aber definitiv für diese eingeschränkte Altersgruppe. Und diese Altersgruppe muss so eingeschränkt sein, weil es eine besondere Phase in der Entwicklung ist, die ein besonderes Augenmerk verlangt.

Vom allgemeinen Unterhaltungswert aus gesehen, findet ROT seinen Platz näher bei den harmlosen Gefälligkeiten von Disneys ENCANTO, anstatt den Tiefen von Pixars SOUL. Die grafische Ausarbeitung ist auch nicht so plastisch und Detail verliebt wie es Zuschauern erwarten, die von den Pixar-Künstlers bisher verwöhnt wurden. Die Texturen sind gerade bei den Panda-Animationen ziemlich grob, und weniger verspielt. Das visuelle Konzept von ROT nimmt starke Anleihen bei japanischen Animes, was gerade bei den Bewegungsabläufen gewöhnungsbedürftig ist, sollte jemand auf den Photorealismus von amerikanisch orientierten Produktionen fixiert sein.

Letztendlich muss man ROT aber auch auf das herunterbrechen, was Regisseurin Domee Shi mit ihrer Co-Autorin Julia Cho tatsächlich im Sinn hatte. Eine ganz konkrete Ausrichtung, welche das Zielpublikum ganz für sich beanspruchen kann. Da werden Zugeständnisse an andere Altersgruppen ganz bewusst außer Acht gelassen. Domee Shi war bereits an ALLES STEHT KOPF in der Story-Abteilung beteiligt. Ein Film der die Gefühlswelt eines Menschen verständlich zu visualisieren verstand, und damit eine neue Dimension in Familien orientierter Animationsunterhaltung eröffnete. Ähnlich bahnbrechend wie COCO und SOUL, die ohne Scheu und mit unglaublichen Einfühlungsvermögen den Tod behandelten.

Mit seinem Narrativ gewinnt ROT schließlich einen ungeahnten Stellenwert, der für einen erwachsenen Zuschauer nur weniger nachvollziehbar scheint. Und genau von dem beabsichtigten Standpunkt eines jungen Menschen aus betrachtet, rückt der Film dann von ENCANTO wieder etwas ab, viel näher an die inspirierten Ansichten von SOUL. Vielleicht ist ROT am Ende doch ein Familienfilm, weil sich so mancher Elternteil vielleicht bei eigenen Unzulänglichkeiten in Erziehungsfragen ertappt fühlen könnte. Oder noch besser – der Film erinnert daran, wie die eigenen Gefühle zu jener Zeit ebenso unerfindlich unergründlich waren.

Turning Red 1 - Copyright DISNEY / PIXAR

 

Sprecher:
Meilin: Rosalie Chiang / Lana Martin
Ming Lee: Sandra Oh / Christin Marquitan
Miriam: Ava Morse/ Derya Flechtner
Abby: Hyein Park / Franziska Trunte
Priya: Maitreyi Ramakrishnan / Marie Hinze
Vater Jin Lee: Orion Lee / Florian Clyde
Tyler: Tristan Allerick Chen / Manik Zidan Gaschina
Mr. Gao: James Hong / Freimut Götsch
u.a.

Regie: Domee Shi
Drehbuch: Domee Shi, Julia Cho
Kamera: Mayhar Abousaeedi, Jonathan Pytko
Bildschnitt: Steve Bloom, Nicholas C. Smith
Musik: Ludwig Göransson
Produktionsdesign: Rona Liu
USA / 2022
100 Minuten

Bildrechte: Disney / Pixar
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