P R E Y

Prey 1 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS– 05.08.2022 bei STAR via DISNEY+

Sie ist die jüngste in der Familie, wahrscheinlich die jüngste im Stamm, und sie ist eine Frau. Ihre Mutter unterrichtet sie zur Heilerin, und das ist ihre Bestimmung. Naru sieht sich allerdings als Jägerin, als eine, die den Stamm mit ernähren könnte. Dafür trainiert sie hart, in den Wäldern wo sie eigentlich Kräuter sammeln sollte. Ihr Bruder Taabe will von dem Unsinn natürlich nichts wissen, doch Naru glaubt an ein Zeichen, welches ihr die Götter gesandt haben. Der Donnervogel, den sie mit seinem langen Feuerschweif am Himmel beobachtet hat und der in der Nähe auf die Erde niederging. Eine Aufnahme, welche sich ikonografisch durch alle PREDATOR-Filme zieht. Die Protagonisten hören den fauchenden Lärm eines Düsenantriebs und sehen hinauf, wo sich ein Raumschiff durch den wolkenverhangenen Himmel bewegt. Diesmal ist das Jahr 1719, in den nördlichen Great Plains des noch kaum berührten Amerikas.

Das Dan Trachtenberg nach eigenen Aussagen bereits mehrere Jahre mit der Idee für einen Predator-Film spielte, ist diesem jetzt endlich realisierten Film auch anzumerken. PREY ist kein Schnellschuss, und keine über jedes Ziel hinaus schießende Albernheit. Mit diesem Satz fällt der Blick auf den letzten Beitrag der sogenannten Serie. Von den unsinnigen Cross-Over-Filmen soll gar nicht erst angefangen werden. Das Risiko einer Kinoauswertung wäre für 20th Century immens gewesen, darunter leiden müssen aber die Zuschauenden.

Natürlich bewegt sich PREY auf den Jagdgründen der klassischen Heldenreise, hat dann aber auch den Mut mit unvermeidbaren Klischees sehr direkt umzugehen. Wie eine bestimmte Pflanze, die irgendwann Leben rettet, oder der vermeintliche Eindringling, der sich als Freund entpuppt. Trachtenberg hat sowas mit seinem Autoren Patrick Aison sehr elegant, und damit homogen zusammengeführt. Das Kaninchen bleibt schön im Zylinder, die Macher legen offenkundig Wert auf in sich geschlossene Nachvollziehbarkeit.

Nicht nur das der Film in erdgeschichtlicher Zeit zurück reist, auch das jagende Raubtier aus den Weiten des Weltalls ist einer rückwärtigen Wandlung unterzogen. Der Predator ist körperlich nicht so hoch gewachsen und seine Ausrüstung weniger ausladend, als man es von seinen Nachfahren gewohnt ist. Das macht ihn nicht weniger gefährlich, im Gegenteil. Was sich anfangs gemächlich ausnimmt, wandelt sich zu einem blutigen Spektakel, das seiner hohen Altersfreigabe mehr als gerecht wird.

Prey 3 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS

 

Der Kampf amerikanischer Ureinwohner gegen außerirdischen Sportjäger ruht sich aber nicht auf seinen mitunter derben Schauwerten aus. Die Regie inszeniert ganz hervorragende Action-Sequenzen, die Genre-Freunde nicht enttäuschen. Trachtenberg vermeidet dabei sehr konzentriert mögliche Wiederholungen in der Art der Inszenierung. Sehr geschickt wechselt PREY immer wieder zwischen energetischem Tempo und langen Passagen mit stark ansteigendem Spannungsbogen.

PREY ist PREDATOR wie er sein sollte, wie es auch die ersten zwei Inkarnationen durch ihr Narrativ etablierten. Dafür eine Art Prequel zu schaffen beweist sich als brillanter Einfall. Es spielt in der Zeit vor den uns bereits bekannten Geschichten, bleibt aber eigenständig, und lässt auch die ersten zwei Filme inhaltlich unverändert. Denn jeder Kritiker von Fortsetzungen, insbesondere von thematisch überraschenden Erfolgen, muss sich eingestehen, PREY schon im Vorfeld abgeurteilt zu haben.

Wie es sich in einer politisch korrekten Industrie gehört, wurden alle Rollen ethnisch nach ihrem Charakter besetzt. Außer Dane DiLiegro als Predator. Gedreht wurde in Englisch und Comanche, je nach Wichtigkeit des Textes wechseln die Darsteller auch inmitten der Sätze die Sprache. Das wurde ziemlich radikal umgesetzt. Das Englisch wird nicht in Dialekt oder verklausulierten Begrifflichkeiten gesprochen, sondern modern, manchmal auch umgangssprachlich. Das irritiert nur anfänglich. Es passt aber hervorragend zum Duktus der Comanchensprache, was letztendlich den Regisseur auch zu dieser Entscheidung veranlasste.

Erbsenzähler mussten gleich nach der Premiere eingestehen, dass die vielen kleinen Details in der Darstellung der Menschen und dem Leben des indigenen Volkes akkurat getroffen ist. Selbst Narus Hund Sarii wurde mit Coco besetzt, einem zeit- und standesgemäßen Carolina Dog. Eine Mischlingsrasse aus den Zeiten der Völkerwanderungen, die sich bis heute nicht wirklich mit modernen Hundezüchtungen mischt. Jedoch als Ortsangabe zeigt der Film die nördlichen Great Plains an, obwohl die Comanchen den Süden besiedelt hatten. Ein vermeidbarer Fehler, der schnell irrelevant wird.

Denn PREY ist ein Action-Film mit einem Predator. Und ein ausgezeichnetes Team von handwerklichen Künstlern weiß damit sehr viel anzufangen. Zum Standard der Filme gehört, dass der Außerirdische immer wieder einmal Probleme mit seiner Tarnvorrichtung bekommt. Das macht auch hier einige Spannungsmomente zu einem visuellen Fest. Grundsätzlich beschränkt sich der Film aber mit seinen digitalen Effekten auf das Notwendigste. Doch gerade in Verbindung mit handwerklichen Effekten verstärkt das die optische Wirkung.

Prey 2 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS

 

PREY besticht natürlich durch seine ausgefeilte und gut choreografierte Action, die der Regisseur wohl durchdacht von Sequenz zu Sequenz steigert. Doch die Grundidee bringt zwangsläufig auch einige Kultur bedingte Einflüsse in die Handlung. Narus aussichtslos scheinender Kampf gegen die Bedrohung, ist gleichzeitig ihre erwünschte Prüfung, als Jägerin anerkannt zu werden. Immer wieder gibt es Einschübe, die einer spirituellen Reise gleichen.

Was leicht in folkloristischen Übertreibungen enden kann, ist hier sehr sorgsam eingeflochten und dominiert keine Szene. Diese Einheit mit der Natur ist von Jeff Cutter mit imposanten Bildern umgesetzt, die eigentlich zu schade für den heimischen Bildschirm sind. Wie Cutter in Trachtenbergs 10 CLOVERFIELD LANE die Enge der Räumlichkeiten fantastisch nutzte, macht er hier die unberührte Weite der Great Plains zum Ereignis. Doch die Bildgestaltung nutzt auch eigene dramaturgische Elemente, um PREY erzählerisch zu erweitern.

Der Kampf im Dunst verhangenen Todwald bekommt eine ganz eigene atmosphärische Ausgestaltung in den Einstellungsvariationen und den Schnittfolgen. So wie das Lager der französischen Pelzjäger mit seinen dominanten Brauntönen und weniger übersichtlichen Kamerawinkeln bereits den Umschwung im Land mitschwingen lässt. So wie die Regie mehr oder weniger stark jedes Set-Piece individuell umsetzt, nutzen die anderen Kreativbranchen diese Möglichkeit, individuelle Stimmungen zu schaffen.

PREY kann sich sehr gut neben den ersten beiden Teilen behaupten, die auch schon atmosphärisch und voneinander unabhängig waren. Eine gute Geschichte trifft auf tadellose Action, die nicht einfach nur wiederholt, sondern mit sehr viel eigener Energie und Originalität dem geneigten Zuschauer, aber auch dem Quereinsteiger gibt, was jemand von dieser Reihe erwartet. Und eine geniale Brücke zu PREDATOR 2 wird auch geschlagen. Aber leider nicht im Kino, wie er es verdient hätte.

Prey 4 - Copyright 20th CENTURY STUDIOS

 

Darsteller: Amber Midthunder, Dakota Beavers, Dane DiLiegro, Stormee Kipp, Michelle Trush, Julian Black Antelope, Bennett Taylor u.a.
Regie: Dan Trachtenberg
Drehbuch: Patrick Aison, Dan Trachtenberg
Kamera: Jeff Cutter
Bildschnitt: Claudia Castello, Angela M. Catanzaro
Musik: Sarah Schachner
Produktionsdesign: Amelia Brooke, Kara Lindstrom
USA / 2022
99 Minuten

Bildrechte: 20th CENTURY STUDIOS
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