– Kino-Release 26.20.2023 (Europa)
– ab 10.11.2023 bei NETFLIX
Das David Fincher nach MANK seinen nächsten Film ebenfalls mit Netflix produzieren würde, hat durchaus berechtigte Bedenken geweckt. MANK war spannend, aber lang, fantastisch gespielt, aber inkonsistent. Es war ein typisches Netflix Produkt, bei dem große Namen jeden Freiraum bekommen, damit Netflix mit diesem Namen seinen Content künstlich aufwertet. Zwölf Spielfilme hat David Fincher bisher gedreht, wobei sich sein künstlerischer und intellektueller Einfluss in der Branche wie die Essenz eines gesamten Lebenswerkes ausnimmt. Der von ihm konzipierte Titelvorspann zu SE7EN wird seither von jedem aufstrebenden und altgedienten Horrorfilmer kopiert. THE KILLER ist ein Film, der es Epigonen sehr schwer macht kopiert zu werden. Denn THE KILLER, nach der Graphic-Novel von Alexis Nolent & Luc Jacamont, ist eine Geschichte wie sie alle Nase lang im Kino startet. Glaubt man.
Für zwanzig Jahre war die Graphic Novel ein Traumprojekt Finchers. Endlich realisiert, ist es ist ganz und gar nicht die Geschichte, die alle Nase lang im Kino zu sehen ist (Kinoauswertung war zwei Wochen vor Netflix-Start). Der namenlose Killer kann einen wichtigen Job nicht zum Abschluss bringen, was ihn, und das ist das älteste aller Klischees, selbst zum Gejagten macht. Aber es ist ein Film von David Fincher, und da ist alles ein wenig anders. Auch wenn das Drehbuch SE7ENs Andrew Kevin Walker geschrieben wurde, hat Fincher THE KILLER zu seinem ganz eigenen Film gemacht.
Es beginnt mit dem kürzesten Titelvorspann, den man sich vorstellen kann, trotz aller Namensnennungen. Titel sind Leidenschaft und eigenes Genre für den Regisseur. Und dann schaltet der Film komplett zurück. Der Protagonist wartet in seinem Versteck auf sein nächstes Ziel, mit einem halbstündigen Monolog klärt er das Publikum über sich, seine Arbeit, und den Zustand der Welt auf. Wer dahinter ein träges Stück vermuten würde, irrt gewaltig. Der Protagonist erzählt mit nüchterner Gelassenheit, und hinter der beiläufigen Abhandlung über den Zustand der Welt, erahnt man seine Kaltblütigkeit.
Der beste Freund des Regisseurs ist Erik Messerschmidt, mit seinen präzise gestalteten Kamerabildern. Messerschmidt hat mit Fincher bei MINDHUNTERS gearbeitet, was ihn auszeichnet, und später bei MANK, was weniger überzeugend war. Bei THE KILLER gelingt ihm das filmische Äquivalent zur Graphic Novel. Messerschmidt erweckt die Vorlage für das neue Medium, aber es bleibt David Finchers Welt. Eine Welt die manchmal wirkt wie ein Best-of des Regisseurs, ohne sich selbst zu kopieren. Er nimmt all die raffinierten Markenzeichen, und setzt sie sorgsam wieder aktualisiert zusammen.
THE KILLER spielt mit dem Publikum, baut althergebrachte Standards auf, um sie zu brechen. Mit der Nichterfüllung des Auftrags ist in der Regel das Urteil des Beauftragten gesprochen. Doch hier wird das Konzept einfach umgedreht. Der Protagonist kümmert sich nach und nach um alle, die ihn mit dem missglückten Job in Verbindung bringen könnten. Das ist manchmal unheimlich witzig, und teilweise eiskalt. Aber meistens ist makabrerweise seine brutalen Eiseskälte auch sehr witzig. Fincher spielt die Klaviatur von Ironie, Sarkasmus und Spannung rauf und runter. Und er spielt sie perfekt.
Gerade in den inneren Monologen, vom fabelhaften Michael Fassbender knochentrocken serviert, kommen die einnehmenden Vorzüge des Erzählens von Fincher am besten zum tragen. Hier spiegelt sich unglaublich viel von FIGHT CLUB wieder, ohne zu wiederholen. Starbucks, Amazon, oder auch Wordle. Durch Markennamen oder seine radikale Betrachtung über den Zynismus in der Welt, holt der Protagonist die Zuschauenden auf seine Ebene, aber gleichzeitig auf eine Metaebene des Bekannten und Vertrauten. Hier erreicht der Film dann auch immer wieder eine paradoxe Form von bitterer Poesie.
Es ist die Welt des Killers, der die Betrachtenden aber auch immer wieder täuscht. Wir als Zuschauende glauben ihn einschätzen zu können. Immer wieder. Und immer wieder bricht er das Vertrauen. Wird er diese Person am Ende doch leben lassen? Ja, denn es gibt keinen Grund mehr. Aber man wird eines Besseren belehrt. Mit der ständigen Neueinschätzung des Charakters geht einer von einigen Running Gags einher, der so nebenbei spielt, dass er fast nicht wahrgenommen wird. Immer wenn der Killer gegen unsere Einschätzung und Erwartung handelt, stellt er sich auch mit neuem Namen vor.
Bleib bei deinem Plan. Wäge alles ab, improvisiere nicht. Traue niemandem. Verschaffe dir niemals einen Vorteil. Kämpfe nur den Kampf, für den du bezahlt wirst. Das Mantra wiederholt der Killer sehr oft, um uns daran zu erinnern, das er nicht der ist, für den wir eigentlich jubeln dürfen. Auch das wird zu einem Running Gag. Und Michael Fassbender spielt dabei die Rolle seines Lebens. Wie oft sagt man das über einen Schauspieler. Aber mit seiner skurril beherrschten Art von unberechenbarer Fassade, war es nie so zutreffend wie bei THE KILLER. Es ist trotz namhafter Nebenrollen, Fassbenders Two-Man-Show. An erster Stelle steht natürlich David Fincher, der mit THE KILLER seinen gefühlt persönlichsten Film gemacht hat – stilistisch, inhaltlich und retrospektiv zusammen.
Darsteller: Michael Fassbender, Charles Parnell, Kerry O’Malley, Gabriel Polanco, Arliss Howard, Emiliano Pernía, Sophie Charlotte und Tilda Swinton u.a.
Regie: David Fincher
Drehbuch: Andrew Kevin Walker
Nach der Graphic-Novel von Alexis Nolent & Luc Jacamont
Kamera: Eric Messerschmidt
Bildschnitt: Kirk Baxter
Musik: Trent Reznor & Atticus Ross
Produktionsdesign: Donald Graham Burt
USA / 2023
118 Minuten