SCRE4M ist der letzte Schrei

Was als Hommage begann, wurde zum Sub-Genre des selbstreflektierenden Slasher-Films. Es ist nicht gerade üblich, dass man in den Entwicklungsbüros der Studios das wahre Potenzial von guten Büchern sofort erkennt, aber Kevin Williamsons Hommage versetzte die kaufwütigen Chefs sofort in Verzückung. Der Zuschlag an die Weinstein-Brüder gewährte dem ebenfalls nicht gerade untalentierten Wes Craven wenigstens alle künstlerischen Freiheiten. Er und Williamson stellten das ausgeblutete Genre auf den Kopf. Ihre dreiteilige Reihe war dabei so innovativ, dass sie sich mit einer als Verbeugung vor den Meistern gedachten Arbeit ein eigenes Denkmal setzten. Zehn Jahre hat man ins Land gehen lassen, um einen sauberen Schnitt zu machen und von vorne zu beginnen. Nach zehn Jahren sind Wes Craven und Kevin Williamson in alter Form zurück.

Pünktlich zum zehnjährigen Jubiläum nach den letzten Ghostface-Morden kommt Sidney Prescott zu einer Buchvorstellung nach Woodsboro zurück. Das Schlachtfest kann beginnen. Aber ist dies Fortsetzung oder doch ein Remake? Mit viel Geschick und unendlich vielen Anleihen gehen die Charaktere dieser Frage nach, um eventuell dem Schicksal ihres Dahinscheidens entgehen zu können.

Schon in der Eingangssequenz setzen die Macher einen aberwitzigen Standard. Mit diesem grandiosen Überbau weiß der hocherfreute Fan und Blutlecker, dass alles möglich sein wird. Neues Jahrzehnt, neue Regeln. Es kommt schon einem Geniestreich nahe, wie sich Williamson und Craven bei den Horrorfilmen bedienen, die selber aus dem unheilvollen Schatten der ersten SCREAM-Trilogie hervorgekrochen kamen Und wenn der Film gleich mit drei Eingangssequenzen ein Zitatenfeuerwerk abfackelt, dass einem Augen und Ohren bluten, dann weiß der Fan, dass er zu Hause ist.

Die Tragödie einer Generation ist der Lacher der nächsten, sagt David Arquette in einer Szene. Damit beginnt SCRE4M dann auch zweigleisig zu fahren. Der Film greift nicht nur auf andere Filme und deren Regeln zurück, sondern bindet seine eigene Legende mit ein. So sagt Alison Brie kindlich erfreut zu Scream-Veteranin Courtney Cox, „ich verehre sie, sie waren meine Neunziger“. Für eine Frau nur ein bedingt geglücktes Kompliment, als Referenz allerdings hervorragend. Doch selbst TWILIGHT findet mit dem Ein-Punkt-für-das-Team-Gale-Dialog seine Referenz. Ein fester Bestandteil des Scream-Universums, welches pop-kulturelle Aktualitäten sehr explizit auszuspielen versteht, ohne diese zu überspitzen.

Wie zeitgeistig der Film inszeniert ist, wird an sehr vielen Szenen fest gemacht. Die Meldung über den ersten Mord wird über Twitter- und Facebook-Alarm schneller verbreitet, als die Polizei den Tatort sichern kann. Eine witzige Beobachtung, aber auch einschneidende Erfahrung unserer Zeit. So kann sich das SCREAM-Team gegenüber anderen Horrorproduktionen an Klasse und Novität nicht einfach nur messen, sondern auch behaupten.

Doch zwischen Torture-Porn und inhaltslosen Scream-Epigonen hat der vierte Scream-Ableger keinen leichten Stand, wenn er ein vollkommen neues, weil viel jüngeres Publikum von sich überzeugen muss. Ein sechsjähriges Kind zu Zeiten des dritten Scream-Teiles ist heute, zehn Jahre später, das angestrebte Zielpublikum.

Wes Craven hat vielmals das Genre in neue Blutbahnen gelenkt, erst mit LAST HOUSE ON THE LEFT, später mit HILLS HAVE EYES. Es gab noch den die Kritiker überraschenden SERRPENT AND THE RAINBOW und natürlich das einschneidende Erlebnis um Freddy Krueger. Im Übrigen wurde das ausgeweitete (oder: erweiterte) Spiel mit den Realitäten bei NEW NIGHTMARE exzellent neu gestaltet.

Der ganze Ansatz der SCRE4M-Prämisse soll zeigen, dass sich das selbst erschaffene Universum noch lange nicht erschöpft hat. Selbst wenn das Ergebnis von Teil 4 nicht die Erwartungen deckt, die seinerzeit das Publikum bei Teil 1 jubeln und bei Teil 3 nach Kevin Williamson schreien ließ. Irgendwo dazwischen hat sich der neue Teil angesiedelt. Die Altmeister behaupten sich erfolgreich gegen ihre eigenen Epigonen, schaffen aber auch nach zehn Jahren nicht wirklich Neues. Es zeigt sich allerdings, dass bei Teil 3 der Original-Autor schlichtweg gefehlt hat.

Die Cinemascope-Bilder sind erste Sahne. Ein Film, der Filme thematisiert, zeigt seine Größe darin, dieses Thema auch stilvoll umzusetzen. Alt-Screamer Peter Deming hat nicht einfach nur schön fotografierte Bilder geschaffen, sondern die Expositionen der Szenen exzellent umgesetzt. Herzblut, bei manchen fließt es eben nicht nur aus Körperöffnungen.

SCRE4M hat den Finger am Puls der Zeit. So genial die technische Umsetzung aber auch sein mag, ist letztendlich für Erfolg und weitergehend für die Schadenfreude beim Publikum entscheidend, dass die Macher ihr Publikum kennen und es ernst nehmen. David Arquette tut sich beim Schauspielern immer noch schwer, Courteney Cox hat zum Glück wieder etwas zugenommen, und Neve Campbell… ach, was kann man da noch sagen. Es ist eben eine Freude, sie wieder in liebgewordener Mörderhatz vereint zu sehen.

Nach zehn Jahren sind Kevin Williamson und Wes Craven in alter Form zurück. Dabei ist es wirklich die alte Form. Sie haben noch immer einige Schrecken parat, doch der innovative Überbau, der mit der Eingangssequenz versprochen wurde, bleibt dann doch aus. Dieser Neustart einer Scream-Reihe hat das Genre nicht noch einmal neu erfunden, und die neidenden Trittbrettfahrer werden lange nicht mehr so zahlreich sein. Aber vielleicht ist SCRE4M doch nur eine Fortsetzung? Am Ende sein eigenes Remake?

Nach Teil 3 hat man gesagt, jetzt ist genug. Auch wenn das Meisterwerk ausblieb, war es eben noch nicht genug. Denn im wirklichen Leben ist die Tragödie der einen Generation eben nicht der Lacher der nächsten. Die neue Generation findet hier ein gutes Beispiel dafür, dass selbst ein Slasher sein Publikum nicht unterfordern muss. Das kann ja dann Robert Rodriguez ganz anders handhaben,  wenn er laut SCRE4M Regie bei STAB führen wird. Der Film basierend auf den wahren Begebenheiten von Scream. Es sollte nicht wundern, wenn man uns dieses Messer wirklich in die Brust rammt.

Herrje, da sagt jemand, die erste Regel eines Remakes lautet, leg‘ dich niemals mit dem Original an.

Ältere, aber überarbeitete Besprechungen von Scream 2 und 3 findest Du, wenn Du auf diese Zeile klickst.

Darsteller: David Arquette, Neve Campbell, Courteney Cox, Emma Roberts, Hayden Panettiere, Anthony Anderson, Alison Brie, Adam Brody, Rory Culkin u.a.
Regie: Wes Craven – Drehbuch: Kevin Williamson – Kamera: Peter Deming – Bildschnitt: Peter McNulty – Musik: Marco Beltrami – Produktionsdesign: Adam Stockhausen
USA / 2011 – zirka 111 Minuten

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