Ari Asters BEAU IS AFRAID

Beau is afraid - Copyright LEONINE STUDIOS– Bundesstart 11.05.2023

In Ari Asters vorherigen Kinofilmen kam das Grauen von innen. Bei der Familie in HEREDITARY bricht der Horror durch die emotionalen Selbstisolationen der Figuren nach außen, und entfesselt damit übernatürliche Gewalten. Die amerikanischen Touristen in MIDSOMMAR geben sich der unaufdringlichen Leichtigkeit des heidnischen Sonnenfestes hin, um dann dem Strudel aberwitzigen Grauens nicht mehr entkommen können. In BEAU IS AFRAID kommt der Horror von außen. Er ist ständig da, umgibt uns, und ist wesentlicher Bestandteil unseres bedauernswerten Daseins. Unser Dasein, denn wir sind Beau. Von einem aufsteigenden Regisseur zu fordern, er müsse beim dritten Film liefern, was er sich nach zwei phänomenalen Einstiegsfilmen an Reputation verdient hat, ist zuerst einmal überhebliches Cineasten- und Kritikergerede. Dahinter versteckt sich aber die verständliche Sehnsucht, weiterhin mit außergewöhnlichen und kreativen, weil originalen Ideen überrascht zu werden.

Beau ist ein Mann mittleren Alters, dem es seine anarchistische und gewalttätige Umwelt nicht erlaubt einen Flieger zu erreichen, um seine Mutter zu besuchen. Das ist eine recht dünne Handlung, wenn man diese als solche unbedingt bezeichnen möchte. Selbstverständlich verbirgt sich dahinter weit mehr als jemand glauben mag. Doch vieler näher auf die Handlung einzugehen, würde der Geschichte einfach nicht gerecht werden. Einzelne Punkte werden daher zu kryptischen Fragmenten. Sicher ist, dass Ari Aster liefert. Außergewöhnlich, kreativ, originell, sehr überraschend. Und Ari Asters BEAU IS AFRAID ist unglaublich herausfordernd.

Die Ansprüche die der Film an sein Publikum stellt, sind provokant und schonungslos, und zwar in beide Richtungen des Akzeptanzspektrums. In den ersten Minuten glaubt man sich in einem apokalyptischen Szenario. Menschen prügeln sich auf offener Straße tot, was niemanden interessiert, weil die ganze Stadt in Chaos zu versinken scheint. Finstere Typen jagen Beau, der sich in letzter Sekunde in sein Wohnhaus retten kann. Ein Nachbar droht ihm wegen Ruhestörung, obwohl Beau keinen Ton von sich gibt. Und natürlich sehen wir eine tödliche Spinne durch seine Wohnung krabbeln, vor der alle Hausbewohner gewarnt werden.

Es ist die Welt, wie sie Beau Wassermann wahrnimmt. Und Aster macht uns zuschauenden zu dieser Figur. Über die gesamte Laufzeit, tatsächlich noch um einiges länger als MIDSOMMAR, werden wir nicht die Wahrnehmung des Protagonisten verlassen. Wir erfahren nie was Wirklichkeit oder Angstzustand ist. Und das ist nervenaufreibend, auch in beide Richtungen. Diese ‚verrückte‘ Welt ist faszinierend, mit all ihrem Reichtum an fantastischen Details und exzellenten Ideen. Wie das Fertiggericht O’Loha, die beste Mischung aus irischer und hawaiianischer Küche. Eigentlich kann man sich nicht satt sehen, vor allem nicht an Joaquin Phoenix’ grandioser, stoischer Naivität zwischen Ahnungslosigkeit und Angst.

Aber es zehrt auch schnell an den Nerven, wie hoffnungslos unbedarft Beau auf der Stelle tritt, und wir mit ihm einfach nicht weiterkommen, nie einen Hauch von komplementärer Realität erleben dürfen. Ist seine Mutter Mona Wasserman wirklich tot? Welche Schuld hat er auf sich genommen? Ist Beau überhaupt ein erwachsener Mann, oder in Wahrheit noch ein Kind? Jede beantwortete Frage ist nur scheinbar gelöst, entfacht dafür aber mehrere neue Rätsel auf der Leinwand. Aster hat erwartungsgemäß den ganzen Film über unendlich viele versteckte und offensichtliche Hinweise eingeflochten. Er zeigt uns aber weder Lösungen noch Antworten.

Beau is afraid 2 - Copyright LEONINE STUDIOS

 

Während einer Sitzung notiert der Psychiater nur ein einziges Wort. Das Logo von Mona Wassermans höchst erfolgreichen Pharmaunternehmen ist allgegenwärtig. Alle Männer in der Wasserman-Linie sind direkt nach der Zeugung ihres Nachkommen gestorben. Beaus Jugendliebe Elaine ist eigentlich Angestellte von Mona. Die eigentümliche Struktur der mütterlichen Villa. BEAU IS AFRAID ist in drei unterschiedlich lange Akte geteilt, von denen ist einer zermürbender als der andere, auch wenn sie ein jeweils anderes Kapitel von Beaus Zustand beschreiben. Es ist umso anstrengender, weil Ari Aster ganz bewusst dieses verwirrende Szenario inszeniert.

BEAU IS AFRAID ist wie seine zwei Vorgänger auch, ganz großes Kino im wahrsten Sinne der Worte. Kameramann und Bildgestalter Pawel Pogorzelski hat acht von Ari Asters elf Filmen umgesetzt. Ironischerweise nicht die Kurzfilm-Vorlage BEAU von 2011. Pogorzelski beweist erneut ein hingebungsvolles Gespür für Asters Visionen, und verwandelt die Settings in eine bildliche Darstellung von Beaus Empfindungen. Das gewalttätige Straßenchaos bekommt eine epische Eleganz und weite Räume werden zu klaustrophobischen Bildern. Die meisten optischen Effekt sind ohne Computer generiert, was deren suggestive Intensität noch erhöht.

Dieses ganz große Kino wird noch verstärkt durch Paul Hsus atemberaubende Tonmischung. Die akustische Atmosphäre wird weniger durch Bobby Krlics Musik getragen, sondern durch den allgegenwärtigen Sound-Teppich bestimmt. Die Surround-Lautsprecher machen ihrer Bestimmung alle Ehre. Unbestimmte Töne oder Stimmen wandern von Kanal zu Kanal, mal brüllend, manchmal flüsternd, aber stets mit beunruhigender Eindringlichkeit. Es gibt eben Punkt bei BEAU IS AFRAID die eine unglaubliche Faszination auslösen, und auf unheimliche Weise auch nicht loslassen.

Doch am Ende ist es ein ermüdendes und kaum greifbares Erlebnis, über dessen künstlerische Sinnhaftigkeit sich tatsächlich unerbittlich streiten lässt. Und so faszinierend sich Joaquin Phoenix auch beobachten lässt, hätten es das Publikum und vor allem er selbst verdient, dass er wesentlich mehr von seinen darstellerischen Möglichkeiten ausleben würde. Aster wird ganz sicher auch bei seinem vierten Kinofilm an HEREDITARY und MIDSOMMAR gemessen werden. Und auf die eine oder andere Weise wird BEAU IS AFRAID auf diese Erwartungen und Prognosen Einfluss nehmen. Ari Aster weiß was er tut und tut es konsequent, deswegen wird diese Wartezeit das sehr spannend.

Beau is afraid 1 - Copyright LEONINE STUDIOS

 

Darsteller: Joaquin Phoenix, Patti LuPone, Amy Ryan, Nathan Lane, Kylie Rogers, Denis Ménochet u.a.
Regie & Drehbuch: Ari Aster
Kamera: Pawel Pogorzelski
Bildschnitt: Lucian Johnston
Musik: Bobby Krlic  (The Haxan Cloak)
Produktionsdesign: Fiona Crombie
Großbritannien, Finland, USA / 2023
179 Minuten

Bildrechte: LEONINE STUDIOS
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Kino gesehen abgelegt und mit , , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar