Matinee: DAS NARRENSCHIFF

Matinee Ship of Fools 2Matinee Ship of Fools - Screenshot Copyright STANLEY KRAMER PRODUCTIONS

SHIP OF FOOLS – Bundesstart 01.10.1965 – Release 28.07.1965

Für die schwierigen, die komplizierten, die unangenehmen Themen, dafür gab es Stanley Kramer. Der Produzent und Regisseur, der sich 1947 aus dem Studiosystem nahm, um mit einer unabhängigen Firma Filme mit Relevanz zu machen. FLUCHT IN KETTEN war zum Beispiel so ein Film, wo zum Überleben das Rassensystem in Frage gestellt wird. Die Auswirkungen eines Atomkrieges in DAS LETZTE UFER. Oder die Verantwortung der Alliierten nach dem Nazi-Regime in URTEIL VON NÜRNBERG. Mit der Adaption von Katherine Anne Porters Roman DAS NARRENSCHIFF geht Kramer dann sogar weiter zurück, zum Beginn der Machtergreifung. Ein Schiff mit einer obskuren Mischung an Nationalitäten und Persönlichkeiten, von Kuba auf dem Weg nach Bremerhaven im Jahr 1933.

Den einführenden Monolog an den Zuschauer hält Glocken, ein kleinwüchsiger Deutscher. Er wird gerne von den Eltern auf Reisen geschickt, weil seine Statur zuhause nur für Gerede sorgt. Michael Dunn spielt Glocken mit einer verspielten Nonchalance, bei der seine verborgene Traurigkeit stets durchscheint. Eine Art Mittelpunkt bildet Schiffsarzt Schuhmann, dargestellt von Oskar Werner, der anders als Glocken, mit einer sehr offenen Traurigkeit seinen Dienst verrichtet. Wie verdient seine Oscar-Nomminierung war, wird einem erst bewusst, wenn man merkt wie lange diese Rolle nachwirkt.

Es ist aber auch Vivien Leighs letzter Leinwandauftritt. Der Charakter ihrer manisch depressive Mary Steadwell nimmt tragisch vorweg, dass Leigh nur noch drei Jahre auf Erden sein wird. Regisseur Kramer wird später sagen, dass er Vivien Leigh nie besetzt und diesem Druck ausgesetzt hätte, wären ihm ihre schwere Depression und die Tuberkulose bekannt gewesen. Das sie zu dieser Zeit das zu Recht heißeste Eisen in der Besetzung war, merkt man auch in der Form, wie Kramer sie inszeniert hat. Sie ist die mysteriöseste unter den Figuren, mit eigenem Lichtkonzept, mit einer fulminant expressiven Szene. 

Die Narren auf diesem Schiff sind allesamt selbstgerechte Egoisten. Und jede Figur hat ihren eigenen Kosmos um sich errichtet. Die Tragödien in der Welt, und was sich auch in Deutschland bereits abzeichnet, existiert nur soweit, wie es die einzelne Person persönlich betrifft. Weil Diktator Muchado sie aus Kuba deportieren lässt, werden kurzfristig noch 600 spanische Farmhelfer an Bord genommen, und auf das offenen Unterdeck gepfercht. Mit Arbeitern kommt auch La Condesa auf das Schiff, allerdings standesgemäß in die erste Klasse. Simone Signoret spielt diese Gräfin mit bewegender Verletzlichkeit.

Ship of Fools 2 - Screenshot Copyright COLUMBIA TRISTAR / STANLEY KRAMER PRODUCTIONS

 

Signoret und Werner bilden ein faszinierendes Paar, dass sich durch die Melancholie des jeweils anderen findet. Ihre platonische Beziehung, die dennoch eine gewisse Leidenschaft ausstrahlt, ist ein starker Kontrast zu den anderen Passagieren. Und sie alle sind in ihren Wesenszügen eine Stufe zu überzeichnet dargestellt. Der Zwerg, wie er sich selbst nennt, ist immer eine Spur zu gut gelaunt. Der mitreißende José Ferrer brilliert als Antisemit, mit überstilisierten Hang, seine Menschenverachtung als allgemeingültige Normalität zu feiern. Und ein Künstlerpaar weiß gar nicht warum sie überhaupt zusammen sind.

Dann ist da der jüdische Kaufmann Löwenthal, der voller Optimismus in seine sich verändernde Heimat zurückkehrt. Ausgerechnet Heinz Rühmann ist als Löwenthal einer, der mit seinem steten Lächeln und der überzogen guten Laune nur wenig überzeugt. Dabei fallen Rühmann die markantesten Dialoge zu. Angesprochen auf die politischen und soziologischen Umwälzungen, erwidert er sarkastisch, „wir sind eine Millionen Juden in Deutschland. Was wollen sie denn tun? Uns alle töten?“ Es ist die naive Unbefangenheit im Umgang mit der Bigotterie und dem Fremdenhass, die so erschrecken lässt.

Heutzutage erwirken einige Aussagen im Film einen leicht überzogenen Eindruck. Aber seinerzeit nur zwanzig Jahre nach dem Holocaust, war das in der noch nicht wirklich aufgeklärten und aufgearbeiteten Zeit ein unangenehm berührendes Thema. Was durch den meist sprachlich lockeren Umgang im Film noch verstärkt wird. Vielleicht erklärt sich auch so die Auswahl von anachronistischer Kleidung, die Kostümbildner Bill Thomas die Schauspieler anziehen ließ. Obwohl die Handlung klar im Jahr 1933 festgemacht ist, muss die Mode den ’60ern zuzuordnen werden. Eine gewisse Absicht ist zu vermuten.

Den Film zumindest optisch aus seiner eigentlich dargestellten Zeit zu nehmen, hat zur Zeit seiner Aufführung sicherlich für unterbewusste Empfindungen gesorgt. In Amerika war die Bürgerrechtsbewegung am erstarken, und Stanley Kramer hat ja immer konsequent amerikanische Themen behandelt. Mit seiner moralischen Verlogenheit und dem blinden Herrscherwahn war der Film seinerzeit ungebrochen aktuell, und ist es auch noch heute. Im amerikanischen Sinne ist es vielleicht nicht Kramers Absicht gewesen, zeigt er in seinem Film dennoch die menschliche Natur, wie sie in Allerwelt gültig ist.

Ship of Fools - Screenshot Copyright COLUMBIA TRISTAR / STANLEY KRAMER PRODUCTIONS

 

Auch wenn DAS NARRENSCHIFF von einem zentralen Thema zusammengehalten wird, ist es kein politischer Film. Es ist ein Panoptikum von Figuren, bei der jede auf ihr Recht und ihre Meinung pocht. Wo jeder in sich selbst verkehrt ist, unabhängig von seiner Religion, Politik oder Profession. Diese Charaktere bilden winzige Gruppen, ohne das die Personen voneinander etwas wissen, oder auch gar nichts wissen wollen. Manchmal überschneiden sich diese Gruppen flüchtig, und meist geht es in Verachtung wieder auseinander. Doch für all ist das Wichtigste, dabei die Wirklichkeit auszusperren. Stanley Kramers Adaption von Katherine Anne Porters Roman, der über einen Zeitraum von 20 Jahren sehr bedacht geschrieben wurde, ist in Inszenierung und technischer Ausstattung ein Kind seiner Zeit geblieben. Aber er hat über die Jahrzehnte niemals seine Relevanz verloren. Oder wie Glocken in seiner Monolog sagt, „…und wenn sie genau hinsehen, finden sie sich vielleicht selbst an Bord“.

 

Ship of Fools - Copyright COLUMBIA TRISTARDarsteller: Vivien Leigh, Oskar Werner, Simone Signoret, Michael Dunn, Heinz Rühmann, Lee Marvin, José Ferrer, George Segal, Elizabeth Ashley, Charles Korvin u.a.

Regie: Stanley Kramer
Drehbuch: Abby Mann
nach dem Roman von Katherine Anne Porter
Kamera: Ernest Laszlo
Bildschnitt: Robert C. Jones
Musik: Ernest Gold
Produktionsdesign: Robert Clatworthy
Kostüme: Bill Thomas
USA / 1965
148 Minuten

Bildrechte: Columbia TriStar / Stanley Kramer Productions

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