SHE SAID

She Said - Copyright UNIVERSAL STUDIOS– Bundesstart 08.12.2022

Vom Einbruch in das Wahlkampfbüro der Demokraten im Watergate-Komplex, Washington, bis zu der Premiere von Alan J. Pakulas DIE UNBESTECHLICHEN vergingen vier Jahre. Bernstein und Woodward von der Washington Post griffen die Geschichte 1972 sofort auf, als es merkwürdige Zusammenhänge zwischen dem Einbruch und der republikanischen Partei gab. Bereits 1973 veröffentlichten sie ihren Investigativartikel. Ein Jahr später folgte die Buchfassung und der damit angestoßene Rücktritt von President Nixon. Robert Redford selbst kaufte die Buchrechte und ließ das Drehbuch schreiben. Es vergingen lediglich zwei Jahre, bis einer der folgenschwersten Politskandale Amerikas in detaillierter Filmform dem Publikum nahegebracht werden konnte. Es war wichtig und folgerichtig, weil in dieser kurzen Phase eine zusätzliche dramaturgische Aufarbeitung die Sinne stärker sensibilisierte. So wie es Maria Schraders SHE SAID ebenso eindringlich verdeutlicht. #MeToo ist keine natürliche Entwicklung, sondern ein hart und unnachgiebig erarbeitetes Phänomen.

Die Investigativreporterinnen Megan Thowey und Jodi Kantor von der New York Times erfahren von der Vergewaltigung der Schauspielerin Rose McGowan, die der Independent-Produzenten und Filmmogul Harvey Weinstein begangen hatte. Sollte man Weinstein sexualisierte Gewalt gegenüber diversen Darstellerinnen und Crewmitgliedern nachweisen können, wäre das zwar nur die Spitze des Eisberges in der Filmindustrie, aber ein notwendiges Exempel. Twohey und Kantor können immer mehr Frauen erreichen, von denen allerdings keine zu einer öffentliche Aussage bereit ist.

Zwei thematisch so ähnliche Filme miteinander zu vergleichen birgt immer einen schalen Geschmack. Doch im Falle von Pakulas Polit-Thriller und Schraders moderner Variante unbestechlicher Reporter ist es fast schon geboten. Beide Filme führen vor Augen, wie unbarmherzig, langwierig und mitunter demotivierend journalistischer Anspruch sein kann. Und, was ohne diese Institutionen versäumt worden wäre. Dabei geben sie durchaus auch zu bedenken, wie viele wichtige Geschichten wohl schon wegen der Gefüge von politischen Intrigen, Ignoranz und Resignation nie erzählt wurden.

Und einer der entscheidendsten Faktoren, die beide Filme vereint, ist die elektrifizierende Spannung. Auch wenn man, den Themen geschuldet, immer wieder einmal bestimmte Namen und ihre Positionen kurzfristig aus den Augen verliert. Maria Schrader verliert in ihrer Inszenierung aber nie den Kern aus den Augen, der sich eigentlich zweiteilt. Es ist der Kampf der Reporter, und die aus Herrschaftsansprüchen gewachsene sexualisierte Gewalt in der Industrie. Beide Themen kreisen unablässig umeinander, keines tritt in den Vordergrund, oder wird als wichtiger dargestellt. Guter Journalismus ist immer eins mit seinem Thema.

Auf die private Seite von Twohey und Kantor wird jenseits ihrer aufwühlenden Arbeit nur bedingt eingegangen, was dramaturgisch immense Vorteile hat. Zwar wird Megan Twohey postpartale Depression in wenigen Sequenzen behandelt und Jodi Kantors geradezu perfektes Familienumfeld thematisiert, doch es sind gute Einschübe um bei den Frauen erst gar keinen Heldenstatus aufkommen zu lassen. Schrader zeigt sie stets als einfache Menschen zwischen Zweifel und Euphorie, die mit Leidenschaft ihrer Profession nachgehen. Die fesselnde Glaubwürdigkeit wird durch die starke Schauspielführung gesetzt.

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Man könnte dem Film eine gewisse Kühle nachsagen, doch damit würde man der Dramaturgie unrecht tun. Die Erzählung erreicht ihre realistisch nachvollziehbare Stimmung, weil nie eine künstliche Emotionalität aufgebaut wird. Dabei würden sich unendlich viele Möglichkeiten eröffnen, die Zuschauerin und den Zuschauer richtig aufzuwühlen. Gerade wenn sich nach und nach immer mehr Frauen bei Megan und Jodie melden, und ihre Erlebnisse schildern. Wie die Geschichte selbst, zeigt auch die Regisseurin Stärke in dem sie ehrlich bleibt.

Wenngleich einige sehr prominente Namen wie Gwyneth Paltrow erwähnt werden, beschränkt sich der Film auf weniger bekannte Opfer, die deswegen nicht weniger schrecklich sind. Es gibt eine Original Tonaufnahme die mit Bildern von leeren Hotelfluren unterlegt ist – Weinsteins ritualisierte Tatorte – in welcher der Produzent eine angehende Darstellerin bedrängt, die sich erfolglos versucht dem körperlichen Missbrauch zu entziehen. Es reicht als exemplarisches Beispiel, wie rücksichtslos und unbeherrscht Harvey Weinstein war. Aber auch wie perfide das System von Vertrauten, die diesen Wahnsinn verschleierten.

Was noch gut getan hätte, wäre eine klarere Auseinandersetzung mit der New York Times selbst. Lediglich in einigen Nebensätzen wird angedeutet, dass die Zeitung im Vorfeld mehrere Artikel ablehnte, die sich mit dem institutionalisierten Missbrauch von Frauen in der Filmindustrie befassen sollten. Es ist zwar ein Wermutstropfen, trübt aber nicht den Gesamteindruck. Grundsätzlich schafft SHE SAID auch ein erhellendes Verständnis darüber, wie niederschmetternd kompliziert es ist, soliden und belastbaren Journalismus zu betreiben.

Das von den makellosen Carey Mulligan und Zoe Kazan angeführte Ensemble macht nie den Eindruck von Spiel im herkömmlichen Sinne. Patricia Clarkson und Andre Braugher als Herausgeberin und Chefredakteur spiegeln mit erstaunlicher Natürlichkeit die professionelle Haltung ihrer Vorbilder. Aber es sind Mulligan und Kazan – die sich einmal spaßeshalber die ‚reporting twins‘ nennen – die mit spürbarer Leidenschaft die Thematik ausgeglichen rational und menschlich festigen. Ein Hochgenuss ist die frappierende Ähnlichkeit aller Schauspieler mit ihren realen Vorbilder.

SHE SAID ist ein wichtiger Film, der mit sehr ausgewogenen und gut überlegten Details seine vertrauenswürdige Kompetenz unterstreicht. Aber auch mit Natasha Braiers ganz klarer, unsentimentaler Kameraführung, oder Ashley Judd als sie selbst, und Opfer von Weinstein. Twohey und Kantors Artikel erschien 2017 in der New York Times. Harvey Weinstein hatte sich auf Grund der Recherche zu dem Artikel bereits aus allen Geschäften zurück gezogen. 2019 erschien ‚She Said‘ als Buch, dessen Filmrechte bereits ein Jahr vorher erworben wurden. Drehbeginn war im Frühjahr 2021, neun Monate nachdem Harvey Weinstein bereits zu den den ersten 23 Jahren Haftstrafe verurteilt wurde, aber auch die gesamte Industrie an den neuralgischen Positionen ein überfälligen Schlag versetzt bekam.

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Darsteller: Carey Mulligan, Zoe Kazan, Patricia Clarkson, Andre Braugher, Jennifer Ehle, Samantha Morton, Anastasia Barzee, Angela Yeoh, Sean Cullen u.a.
Regie: Maria Schrader
Drehbuch: Rebecca Lenkiewicz
nach dem Buch und dem Investigativartikel
von Jodi Kantor & Megan Twohey sowie Rebecca Corbett
Kamera: Natasha Braier
Bildschnitt: Hansjörg Weißbrich
Musik: Nicholas Britell
Produktionsdesign: Meredith Lippincott
USA / 2022
129 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL STUDIOS
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