STRAIGHT OUTTA COMPTON

Straight_Outta_Compton_1, Copyright Universal Pictures InternationalSTRAIGHT OUTTA COMPTON
– Bundesstart 27.08.2015

Der Text wurde am 27.08.2015, um 08:oo Uhr redigiert.

Wem sagen schon die Namen Lorenzo Patterson, oder Antoine Carraby etwas? Eric Wright, O’Shea Jackson und Andre Romell Young dürften genauso unbekannt sein. Die Namen zumindest. Höchstens einer kleinen versprengten Schar von Hardcore-Fans. Aber Dr. Dre, Eazy-E, Ice Cube, DJ Yella und MC Ren dürften weit über ihre Musik hinaus, dem ein oder anderen schon unterkommen sein. Mik Lezan, in der Geschichte Arabian Prince genannt, darf hier hinten anstehen, weil er auch im Film eine sehr untergeordnete Rolle einnehmen musste. Verständlich bei einer derart komplexen Geschichte. Regisseur F. Gary Gray hatte eine ursprüngliche Fassung von 3,5 Stunden. Die würde der Geschichte vielleicht gerechter werden, wäre aber ein Alptraum für die Vermarktung gewesen. Und hätte mit dieser Laufzeit eventuell sogar ein Publikum abgeschreckt, welches mit Hip-Hop und Rap überhaupt nichts anfangen kann. Dabei ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall der Hip-Hop-Gruppe N.W.A., eine der spannendsten Einblicke in die Musikindustrie die es seit langem gegeben hat.  

Aber STRAIGHT OUTTA COMPTON ist auch ein verstörender Blick in eine Sub-Kultur von Menschen, denen man überhaupt keine Chance geben will. Politik und Polizeivollzugsdienst (wie es der Film so schön ausdrückt) haben es hervorragend verstanden, den Zorn und die Aggressivität nach innen in die Ghettos zu richten. Die Selbstzerfleischung der schwarzen Stadtviertel wird schon nicht mehr zum Problem außerhalb der Gemeinden. In diesem Umfeld ist es möglich, dass ein zwölfjähriger EAZY-E bereits Drogen verkauft. Und Schallplatten. Mit dreiundzwanzig ist sein erklärtes Ziel, selbst eine Plattenfirma zu gründen. Dr. Dre ist als Produzent zu dieser Zeit schon eine feste Größe in der Hip-Hop-Szene, und für EAZY-E gibt es keine Alternative zu Dre. Ice Cube und MC Ren stoßen als Rapper dazu, DJ Yella als Discjockey. Ihre Band heißt N.W.A., Niggaz Wit Attitude. Mit dem findigen Manager Jerry Heller wird Ruthless Records gegründet, und gleich mit dem zweiten Album ein gigantischer Erfolg gefeiert, der Hip-Hop verändern wird.

Wütend wegen unrechtmäßiger Polizeigewalt, schreibt Ice Cube drei bedeutende Lieder. ‚Straight Outta Compton‘, ‚F**k Tha Police‘, und ‚Gangsta, Gangsta‘. Lieder, die zur Gewalt gegen Polizei aufrufen, und den Stolz auf das Gangster-Leben zelebrieren. Bisher monierte Hip-Hop immer das Versagen der Politik, das triste Ghettoleben, rief nach einer Chance, wollte auf Schicksale aufmerksam machen. N.W.A. veränderte mit dem Album ‚Straight Outta Compton‘ die Aussagen. Man hatte einen eindeutigen Feind, die Ordnungshüter, und man zeigte sich unvermittelt stolz, ein Kind der untersten Klasse zu sein. Die Texte waren beleidigend, selbstbezogen und frauenfeindlich, eine kritische Auseinandersetzung mit der eigenen Situation gab es nicht mehr. Obwohl Radiostationen das Album verweigerten, und auch MTV keines der Videos zeigte, verkaufte sich das revolutionäre Album 5 Millionen Mal. Doch der Zusammenhalt innerhalb der Gruppe währt nicht lange, als sich herausstellt, dass Manager Jerry die Künstler über den Tisch zieht. Zum Zerwürfnis kommt es, als Eazy-E darauf besteht, loyal gegenüber Jerry zu sein.

STRAIGHT OUTTA COMPTON ist so vielschichtig in seiner Erzählung, dass F. Gary Gray kaum Raum zum atmen lassen kann. Das dennoch einige Aspekte und Nuancen innerhalb der Biografie auf der Strecke bleiben müssen, versteht sich von selbst. Aber was dem Zuschauer geboten wird, ist ein intensiver Einblick in das Leben und das Umfeld der Künstler. Wie die einzelnen Charaktere schon von ihrer Vergangenheit so verhärtet wurden, das die Vernunft schon keine Option mehr darstellt. So etwas kann nur mit einem herausragenden Ensemble derart eindringlich und realistisch umgesetzt werden. Auch die äußere Ähnlichkeit der Darsteller mit ihren Pendants trägt einen großen Teil zu diesem einnehmenden Erlebnis bei. Das Ice Cubes wirklicher Sohn, O’Shea Jackson Jr., die Rolle seine Vaters spielt, hat sich hier nur als Vorteil erwiesen. Das man allerdings Paul Giamatti für die Rolle des undurchsichtigen Jerry Heller besetzte, ist ein deutlicher Negativpunkt. Giamatti ist eindeutig ein herausragender Schauspieler, doch in der ganzen Riege von jungen, unverbrauchten Gesichtern, sticht er als etabliertes Hollywood-Gesicht einfach zu sehr heraus. Nicht das er sich damit über den Rest des Ensembles spielen würde. Im Gegenteil, es wirkt eher wie ein Störfaktor.

Das Album ‚Straight Outta Compton‘ war das erste Album, welches den berüchtigten ‚Parental Advisory‘ Warnhinweis trug. Da sich zu diesem Zeitpunkt Hip-Hop in seinen Texten sehr veränderte, gab es in diesem Genre kaum noch ein Album ohne diesen Hinweis. Bei einem Konzert in Michigan, verbietet die Polizei der Gruppe, ‚F**k Tha Police‘ zu spielen. Natürlich werden sie es trotzdem aufführen, was mit Schüssen im Auditorium enden wird. N.W.A. wollten nicht einfach nur Krawall schlagen, sondern zeigen, dass sie auch das leben, was sie besingen. Und in einigen Szenen verdeutlicht Gray auch, was die Gruppe dazu motivierte. Unberechtigte Übergriffe, und blanke Schikanen von Seiten der Polizei. STRAIGHT OUTTA COMPTON kommt zu einer Zeit auf den Markt, wo Polizeigewalt mehr denn je im Fokus der Öffentlichkeit steht. Leider verdeutlicht der Film aber auch, dass sich in den letzten zwanzig Jahren nichts daran geändert hat.

Natürlich waren die sehr expliziten Texte zu jener Zeit ein eigentlich ein nicht gut zu heißender Aufruf zur Gewalt. Im Nachhinein muss man allerdings feststellen, dass der millionenfache Verkauf des Albums, ohne die für die Musikindustrie übliche Werbung durch Radio und MTV, auch etwas über den Zustand der schwarzen Gemeinden in Amerika aussagt. Ihrer Hoffnungslosigkeit und Resignation wurde durch ‚Straight Outta Compton‘ eine Stimme gegeben. Mit dem traurigen Aspekt, dass Stadtplaner, Ordnungskräfte, und Politik Jahre danach nicht darauf reagieren. Und in dieser Beziehung ist F. Gary Gray ein sehr wichtiger Film gelungen, der seine Protagonisten nicht als Unschuldslämmer zeigt, aber etwas von ihren treibenden Kräften offen legt. Die Musik und die Politik sind hier keine zwei unterschiedlichen Geschichten, sondern sie resultieren aus jeweils der anderen.

Straight Outta Compton, Copyright Universal Pictures International

Darsteller: O’Shea Jackson, Corey Hawkins, Jason Mitchell, Aldis Hodge, Neil Brown, Paul Giamatti, Marlon Yates, Keith Stanfield u.a.
Regie: F. Gary Grey
Drehbuch: Jonathan Hermann, Andrea Berloff
Kamera: Matthew Libatique
Bildschnitt: Billy Fox, Michael Tronick
Musik: Joseph Trapanese
Produktionsdesign: Shane Valentino
USA / 2015
147 Minuten

Bildrechte: Universal Pictures International
Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Im Kino gesehen abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar