THE VISIT

Visit-1, Copyright  Universal Pictures InternationalTHE VISIT – Bundesstart 24.09.2015

Das Wunderkind des modernen Kinos. Hat M. Night Shyamalan mit zwei eher bescheidenen Filmen seine Karriere begonnen, war sein Durchbruch mit SIXTH SENSE höchstens mit dem Aufstieg eines Steven Spielbergs vergleichbar. Ein Gruselfilm, ein Film mit Superhelden, eine Invasion von Außerirdischen. Shyamalan hatte ein außergewöhnliches Gespür, wie man in den jeweiligen Genres ganz neue Ansätze finden konnte. Selbst bei THE VILLAGE, dessen überraschende Wendung viel zu früh vorhersehbar wurde, überzeugte das schwächelnde Wunderkind mit sehr viel Atmosphäre und Spannung. Was folgte, ist einer traurigsten Karrieretiefs die man sich für Hollywood vorstellen kann, und gipfelte mit einem katastrophalen AFTER EARTH, für den er sich vorwerfen lassen musste, mit der Ideologie von Scientology zu sympathisieren.  Shyamalan hat sich einmal kurz geschüttelt, ein bisschen fürs Fernsehen gearbeitet, und von einem zuletzt 130 Millionen Dollar Budget auf 5 Millionen abgespeckt.

Auch wenn sie keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter haben, möchten Pop Pop und Nana wenigstens ihre Enkelkinder kennenlernen. Schon ist die 15 jährige Becca und ihr 13 jähriger Bruder Tyler auf dem Weg für eine Woche Großelternzeit. Ausgestattet mit zwei Kameras, möchte Becca die Gelegenheit nutzen, eine Dokumentation über die Wiedervereinigung zu drehen. Und Material wird sie genügend bekommen, denn Oma und Opa sind etwas anders, als man es sich vorstellen würde. Dazu kommen unheimliche, verstörende Geräusche in der Nacht. Eine entspannte Woche hatten sich die Kinder anders vorgestellt. Doch es wird stetig gruseliger.

Man erinnert sich, wie M. Night Shyamalan den diversen Genres immer wieder neue Aspekte abgewinnen konnte. Das Reizwort ist dieses Mal Found-Footage, oder vielleicht wäre in diesem Fall Mockumentary angebrachter. Aber überraschend ist es allemal, wenn es einen unvorbereitet trifft. Doch es macht neugierig, wie ein alter Hase im Geschäft mit diesem Format wohl umgehen wird. Und am Ende ist auch dies vollkommen überraschend. THE VISIT hat sehr viel Witz, hat sehr spannende Momente, und einige wirklich gelungenen Gruselszenen. Aber auch ein Herr Shyamalan kann sich gewisser Genre-Klischees nicht erwehren. So dürfen sich auch bei ihm kreischende Visagen ins  ansonsten ruhige Bild schieben. Das Format der gewohnten Dokumentation wird immer wieder aufgebrochen, in dem die einzelnen Sequenzen von malerisch gestalteten atmosphärischen Impressionen des abgelegenen Hofes getrennt werden.

Letztendlich geht aber Shyamalans Rechnung nicht wirklich auf. Die Mischung von Drama, Komödie und Horror findet einfach nicht zusammen. Jeder Teil steht immer nur für sich, und es hat den Eindruck, als würde der Film immer wieder einen neuen Anfang wagen. Besonders Tylers Rap-Einlagen schlagen voll neben die eigentliche Stimmung, und nerven eher, auch wenn Ed Oxenbould zugegebenermaßen sehr gut rappen kann. Kamerafrau Maryse Alberti hat einen grandiosen Job gemacht, wie sie alle Sets so ausgeleuchtet hat, das alles nach natürlichen Lichtquellen aussieht, aber dennoch jede noch so spontane Kameraeinstellung ein klares Bild bekommt, und auch keine Darsteller zu schwarzen Silhouetten verkommen. Der Zuschauer hätte es gedankt, wäre man bei der Bildkatrierung ähnlich sensibel vorgegangen. Aber da gibt es Szenen, wo sich Köpfe ins Bild drängen, die den kompletten Bildausschnitt füllen. Und das ist bei einer sechs Meter hohen Leinwand einfach kein schönes Bild, und auch keiner schöner Anblick.

Natürlich hat sich ein M. Night Shyamalan etwas dabei gedacht, wenn er eine Geschichte entwirft. Trotz all der Gruselmär, geht es hintergründig um Familie, und wie persönliche Befindlichkeiten dieses zerbrechliche Umfeld beeinflussen können. Die Oma wird zu einem Negativ-Abzug von Becca, während Tyler eine gegensätzliche Auffassung von gewissen Dingen hat, als sein Großvater. Am Ende wird es einen vollkommen unvorhersehbaren Showdown geben, der noch einmal überrascht. Hier entscheiden die Eigenarten, aber auch Psychosen der einzelnen Charakter einen Kampf, den die Figuren ansonsten gegen sich selbst führen. Hier beweist sich wieder einmal das Geschick des ehemaligen Wunderkindes, und das irgendwo in ihm noch etwas schlummert. Der Film selbst wird den Anfängen der Karriere des M. Night Shyamalan aber nicht gerecht.

Rannten die Maßen bei SIXTH SENSE noch einmal ins Kino, um erfolglos Fehler in der Erzählung zu finden, entlarven sich bei THE VISIT viele Eckpunkte der Geschichte, als angestrengtes Konstrukt. Die Verweigerung der Mutter, mit ihren Eltern zu sprechen, zum Beispiel. Das macht solange Sinn, wie es natürlich wirkt. Doch wenn man die dahinter versteckte Absicht begreift, zerplatzt diese Blase der Homogenität. Aber eine komplette Bombe hat Shyamalan nicht inszeniert. Letztendlich konnte auch er dem Found-Footage-Thriller keine neuen Aspekte entlocken, aber man kann THE VISIT durchaus einen gewissen Unterhaltungswert zusprechen. Zumindest kann man sagen, wer sich durch diesen Film angesprochen fühlt, wenn der Film für jemanden funktioniert, dann ist es dem Format geschuldet. Und das können kaum irgendwelche Found-Footage-Thriller von sich behaupten.

Visit-2, Copyright  Universal Pictures International

Darsteller: Olivia DeJonge, Ed Oxenbould, Deanna Dunagan, Peter McRobbie, Kathryn Hahn u.a.
Drehbuch & Regie: M. Night Shyamalan
Kamera: Maryse Alberti
Bildschnitt: Luke Franco Ciarrocchi
Produktionsdesign: Naaman Marshall
USA / 2015
94 Minuten

Bildrechte: Universal Pictures International
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