ORPHAN: First Kill

Orphan 2 b - Copyright PARAMOUNT PICTURES– Bundesstart 08.09.2022
– seit August bei Paramount+

Ein amerikanisches Pärchen adoptiert ein ukrainisches Waisenkind mit extremer Kleinwüchsigkeit. Aber angeblich war die Achtjährige ein viel zu anstrengendes Kind. Sie soll ihren Adoptiveltern und deren leiblichen Kindern mit Mord gedroht haben. Mit ungenauen Tricksereien ließ das Pärchen per Gerichtsentscheid die Geburtsunterlagen des Kindes von 8 Jahren auf 22 Jahre abändern. Damit galt sie als Erwachsen und somit selbstständig. Sie mieteten für ein Jahr ein Appartement, brachten das Kind dort unter, und zogen mit den leiblichen Kindern nach Kanada. Ein Fall den die Schauspielerin Isabelle Fuhrman aufmerksam verfolgte, beziehungsweise noch tut, weil das Geschehen seit 2014 noch immer die Gerichte beschäftigt. Es erinnerte Fuhrmann an den Film mit dem sie international bekannt wurde, dem Horrorfilm ORPHAN. Isabelle Fuhrman trat mit David Leslie Johnson-McGoldrick in Verbindung, der ORPHAN erfunden hatte.

Der Charakter Esther ist eigentlich schon Anfang 30, doch mit ihrem Kleinwuchs kann sie sich leicht als Neunjährige ausgeben. Als Isabelle Fuhrman das erste mal die Rolle übernahm, war sie gerade 11, was ihre mörderischen Betrügereien in Aussehen und Statur noch glaubhaft machte. Zu den Dreharbeiten für Teil 2 war Fuhrman mittlerweile 23. Maskenbildner und Ausstatter hatten einiges zu tun, für wenige Szenen wurde ein De-aging Programm genutzt. Und, es funktioniert geradezu perfekt.

Mit Geschick und viel Blut gelingt es Leena aus einer geschlossenen Anstalt in Estland zu fliehen. Nach eindringlicher Internetrecherche gibt sie sich als die vor vier Jahren entführte Esther Albright aus. Die Eltern Tricia und Allen, sowie Bruder Gunnar sind außer sich vor Freude. Langsam findet Esther in ihr vermeintliches Leben zurück, jeder akzeptiert einen gewaltigen Schritt in Esthers Entwicklung versäumt zu haben. Nur der vermittelnde Detective Donnan bleibt misstrauisch.

Grundsätzlich ist ORPHAN: FIRST KILL ein hervorragender Thriller. Aber er ist ein noch besseres Prequel. Das ist nicht auf die Inszenierung allein zurück zu führen, sondern in Zusammenhang mit der künstlerisch technische Umsetzung. Für Regisseur William Brent Bell tut sich bei seinen sieben vorangegangenen Filmen lediglich WER als inspirierter und origineller Horror hervor, während zum Beispiel THE BOY oder THE DEVIL INSIDE einfach schlampig und unselbstständig sind.

Orphan 2 c - Copyright PARAMOUNT PICTURES

 

Man merkt diesem Film aber auch an, dass hier weit mehr hinter dem positiven Gelingen steht als nur eine zielorientierte Inszenierung. 2009 haben David Leslie Johnson-McGoldrick und Alex Mace schon ORPHAN geschrieben. Auf Isabelles Fuhrmans Inspiration hin, haben sie sich für Teil 2 eine unkomplizierte, aber effektive Geschichte ausgedacht, die David Coggeshall in eine exzellente Drehbuchfassung gebracht hat. Mit dem Buch zu PREY hat Coggeshall dieses Jahr schon einmal Genre-Freunde zufriedengestellt.

Nach einem furiosen Auftakt ist die Stimmung und der Ton gesetzt. Auch wenn sich der Film dann erst einmal ruhigere Minuten gönnt, wissen wir genau, dass alles jederzeit passieren kann. Das schöne Resultat von einem gelungenen Auftakt. Der psychologische Nervenkitzel verstärkt sich allein durch die immer wieder aufgeworfene Frage, wie Eltern eine falsche Tochter nicht erkennen können. Selbst wenn zwischen Fünf und Neun ein gewaltiger Entwicklungssprung liegt.

Die Macher haben sich einiges einfallen lassen, um verschiedene Szenarien zu erklären, wenn es um die Akzeptanz von Esther, oder um ihr Verschwinden geht. Und dazu gehört eine radikale Wendung die der Film im Midpoint macht. Garstige Erbensenzähler werden behaupten, diesen Höhepunkt erahnt zu haben. Es gibt immer jemanden der es besser wissen will. Geschenkt. Die Rechnung geht voll auf, weil der Film es schafft schon die ganze Zeit so eine unergründliche Spannung zu halten.

Mit verschobenen Perspektiven gelingen Kameramann Karim Hussain überzeugende Aufnahmen, um Isabelle Fuhrmann in Aufnahmen mit ihren Mitspielern angemessen klein darzustellen. In Verbindung mit Fuhrmans gar nicht mehr so kindlichem Gesicht, erreichen einige Szenen eine sehr verstörende Wirkung. Der Zuschauer wird hin und hergerissen zwischen dem was er wirklich sehen sollte und dem was er wahrnimmt. Im Grunde bringt ihn das auf die gleiche Ebene wie Esthers Umfeld.

Die Kamera erweist sich immer wieder als trickreicher Helfer, manchmal voraussehend, oft erklärend. FIRST KILL ist einer der wenigen Mainstream-Horrorfilme, der sehr viel ohne Dialog erzählen kann. Gunnars Art zu Malen ist so ein Element, wo seine Bilder auch emotionale Ebenen der Figuren vertiefen. Oder eine Ratte, die Anfangs wie ein beliebiges Gimmick wirkt, und später elementares Detail wird. Mit einem sehr kreativen und merklich engagierten Team hat Regisseur William Brent Bell richtig gutes Kino gemacht.

ORPHAN: FIRST KILL ist ein zweiter Teil, der nie versucht besser zu sein als das Original. Vielmehr erreicht er symbiotisch mit dem Vorgänger eine Einheit zu bilden. Ein blutiger Film, der allerdings weiß, wann genug ist. Sehr spannend, und mit einigen Spitzen an ironischem Humor. Es gibt in diesem Genre spannendere und blutigere, aber hier passt einfach das Gesamtpaket. Und wir erfreuen uns an Isabelle Fuhrmans Versprechen, das noch nichts geplant ist, aber bis zu einem eventuellen dritten Teil keine 13 Jahre vergehen werden.

Orphan 2 a - Copyright PARAMOUNT PICTURES

 

Darsteller: Isabelle Fuhrman, Julia Stiles, Rossif Sutherland, Hiro Kanagawa, Matthew Finlan, Samantha Walkes u.a.
Regie: William Brent Bell
Drehbuch: David Coggeshall
Kamera: Karim Hussain
Bildschnitt: Josh Ethier
Musik: Brett Detar
Produktionsdesign: Matthew Davies
Kanada, USA / 2022
109 Minuten

Bildrechte: PARAMOUNT PICTURES
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