MIT LIEBE UND CHANSONS

Mit Liebe und Chansons - (c) NEUE VISIONEN FilmMA MÈRE, DIEU ET
SYLVIE VARTAN
– Bundesstart 27.11.2025
– Release 19.03.2025 (FR)

Roland Perez wird 1963 mit einem Klumpfuß geboren. Operationen bringen nichts, und er wird in seinem Leben nie Laufen können – sagen die Ärzte. Es wird ein Wunder geschehen, und er wird an seinem ersten Schultag die Schule auf eigenen Füßen betreten – sagt seine Mutter. Die Mutter ist Esther, ein umtriebiger Wirbelwind mit unbändiger Energie. Esthers ungezügeltes Temperament erklärt sich ein bisschen aus der marokkanischen Abstammung der Familie. Und die bereits fünf vorhandenen Geschwister von Roland lassen darauf schließen, dass Esther eine sehr klare Vorstellung von ihrem und auch dem Leben ihrer Kinder hat – und somit auch von Rolands Werdegang. Dies ist eine wahre Geschichte, und die ist oftmals witzig, durchweg berührend, und am Ende auch melodramatisch – dann, wenn sich die ganze Erzählung dreht.

Esther muss sich gegen die Behörden erwehren, bindet die ganze Nachbarschaft mit ein, und versucht es mit jedem Arzt, der im Telefonbuch steht. Die jugendlichen Geschwister von Roland sind selbstständig genug, und Vater Maklouf weiß, dass die Frau die Geschicke der Familie lenkt. Roland soll Gehen können. Es findet sich eine Heilerin, die Roland für Monate mit Bandagen und Schienen ans Bett fesselt. Aber das Jugendamt steht vor der Tür, und wenn der Junge nicht zumindest Lesen lernt, wird er geholt. Mit den Liedern von Sylvie Vartan und ihren Texten gelingt zumindest das.

Später im Leben wird Roland einmal Rechtsanwalt, und das Schicksal bringt ihm ausgerechnet eben jene Sylvie Vartan als Klientin. Aber da plagen Roland eigentlich ganz andere Probleme. Von der lebensbejahenden, erfrischenden Geschichte einer zu keinen Kompromissen bereiten Mutter, wandelt sich der Film zu einer Erzählung über Befreiung und Abnabelung. Denn die unbändige Liebe von Esther verfolgt den dankbaren, aber genervten Roland weit ins Erwachsenenalter, in die Ehe, selbst in seine Kanzlei. Roland hat seine eigene Emanzipation verpasst. So kann die Mutter einfach nicht begreifen, warum ihr kein eigenes Büro in Rolands Kanzlei zusteht.

Mit Liebe und Chansons 2 - (c) NEUE VISIONEN Film

Der Kanadier Ken Scott hat sich des autobiografischen Buches von Roland Perez angenommen (der einen kurzen Auftritt im Film hat). Was sich wie ein Stoff für eine überwältigend komische Heldengeschichte ausnimmt, zeigt sich gleich von Anfang an als eher bittersüßer Stoff, der wirklich alle Seiten des wirklichen Lebens widerspiegelt. Ja, das ist mitunter sehr witzig, wenn zum Beispiel die Geschwister den knieenden Roland zum polieren des Parkettbodens benutzen. Aber viel mehr ist es eine tragische Geschichte, in der die Kraft einer Mutter den Vater völlig aus den familiären Belangen drängt. Und verhaltenes Grinsen wechselt zum Ausdruck von Verzweiflung, wenn die resolute Esther ihre Grenzen gegenüber dem erwachsenen Roland nicht erkennt.

Leïla Bekhti steht hier ganz klar im Vordergrund, selbst wenn der Film in der zweiten Hälfte Rolands Perspektive als eigener Familienvater übernimmt. Was Bekhti zeigt ist das Paradebeispiel, wenn man von Urgewalt spricht. Die Leinwand vibriert förmlich bei jedem ihrer Auftritte – und sie ist in den meisten Szenen. Mit ihrem intensiven Schauspiel macht sie eine Frau lebendig, die gleichermaßen bewundernswert, furchteinflößend und nervenaufreibend ist. Letzteres nicht unbedingt im positiven Sinne. Aber ihr zuzusehen ist ein wahres Vergnügen – im cineastischen Sinne. Und das mit einem wahren Makeup-Highlight. Selten war bei einem Film eine eindrucksvollere Maske zu bestaunen, als bei dem Alterungsprozess von Leïla Bekhtis Esther. Sensationell.

„Meine Mutter, Gott und Sylvie Vartan“ – so im Original – hätte durchaus etwas mehr Ecken und Kanten vertragen. Wundervoll atmosphärisch fotografiert von Kameramann Guillaume Schiffmann, wagt aber Ken Scott in seiner Dramaturgie nur sehr wenig. Der Witz könnte etwas beißender sein, und die dramatischen Szenen dürften durchaus kritischer und sogar tragischer mit den Figuren umgehen. Irgendwie schwebt Scott immer unentschlossen zwischen den einzelnen Elementen. Die Mitwirkung der echten Sylvie Vartan als eben Sylvie Vartan würde ebenfalls mehr hergeben, als nur belangloses Geplänkel mit Rolands Idol. Aber sein eigentliches Ziel erreicht der Film – und mit ihm auch Autobiograf Roland Perez – das die Liebe einer Mutter immer Berge versetzen wird, auch wenn es dabei unheimlich anstrengend werden kann.

Mit Liebe und Chansons 1 - (c) NEUE VISIONEN Film


Darsteller: Leïla Bekhti, Jonathan Cohen, Roland Perez, Joséphine Japy, Lionel Dray, Jeanne Balibar u.a.

Regie & Drehbuch: Ken Scott
nach dem Buch von Roland Perez
Kamera: Guillaume Schiffman
Bildschnitt: Dorian Rigal-Ansous, Yvann Thibaudeau
Musik: Nicolas Errèra
Set Decoration: Julien Joanny
Frankreich, Kanada / 2025
102 Minuten

Bildrechte: NEUE VISIONEN Filmverleih
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