LICORICE PIZZA

Licorice Pizza - Copyright METRO-GOLDWYN-MAYER– Bundesstart 27.01.2022

Es ist 1973 im San Fernando Valley, und das Leben ist gut. Wären da nicht diese vielen obskuren Menschen, einige verpasste Geschäftsideen, eine weltweite Ölkrise, und die ganz große, aber unerwiderte Liebe. Doch Gary wird das meistern, weil er als verblassender Kinderstar durch das Business gestärkt, mit 15 seinem Alter etwas voraus ist. Anders geht es Alana, die sich selbstbewusst durchs Leben treiben lässt, aber mit 25 ihrem Alter etwas hinterher hinkt. Das hört sich nicht sehr aufregend an, und das ist es auch nicht. Und jetzt kommt der Satz, der folgen muss: Genau das macht es so aufregend. Paul Thomas Anderson, mit insgesamt nur 9 Spielfilmen in 16 Jahren ein sehr gemäßigter Filmautor, hat schon mit BOOGIE NIGHTS und INHERENT VICE feinsinnigen und angemessenen Humor bewiesen. LICORICE PIZZA ist bestimmt keine Komödie, aber es ist Andersons humorvollster und zugleich stimmungsmäßig gelöstester Film.

Gary ist überzeugt, dass Alana seine große Liebe ist, und wenn er hartnäckig bleibt, wird sie sich auch in ihn verlieben. Der zehnjährige Altersunterschied scheint zuerst absurd, aber die beiden laufen sich immer wieder über den Weg, verbringen manchmal freiwillig, manchmal unfreiwillig Zeit miteinander, und einmal begleitet Alana Gary sogar als Aufsichtsperson zu einem Casting nach New York. Dem Zuschauer bereitet das viel Freude, und nebenher ist er auch stets darauf bedacht, die Bedeutung des Titels von der Lakritze Pizza heraus zu finden.

Der Film hat die Anmutung von einem Sammelalbum mit losen Episoden und genauso losen Enden, weil sich kaum eine kohärente Geschichte erkennen lässt. Dies kommt der Stimmung im Film sehr entgegen. Es sind kleine Abenteuer des Alltags, die manchmal sehr absurd sind, und manchmal einfach nur schwelgerisch. Aber sie haben immer das Herz am rechten Fleck, wie man so schön sagt. Da wird Gary einmal ohne Erklärung von einem Großaufgebot der Polizei verhaftet, und ohne Begründung einfach wieder frei gelassen.

Licorice Pizza - Copyright METRO-GOLDWYN-MAYER

Zu der Zeit in der LICORICE PIZZA spielt, war Paul Thomas gerade einmal drei Jahre alt, aber er hat 1973 dennoch zu seiner persönlichen Zeit gemacht. Sei es aus Erzählungen, ersten Erinnerungen, oder in dem er zeitgenössische Erscheinungen wiederbelebte, deren Einmaligkeit im Laufe der Zeit ihre Besonderheit verloren. Wie das Flipperspielen, dass erst 1973 legalisiert wurde, oder die Markteinführung des Wasserbettes. Aber ganz besonders der scheinbar rätselhafte Filmtitel.

All diese kleinen Episoden stehen für sich, kaum ein Ereignis hat Konsequenzen. Es ist eben eine Zeit, als man in diesem Alter keine Konsequenzen fürchtete, ignorierte, oder einfach wegsteckte. Sie wären aber auch für den Verlauf vollkommen irrelevant. Es wird alles durch die ansteckende Energie der beiden Hauptdarsteller zusammengehalten, und zu einem dennoch schlüssigen Ganzen geformt. Beide in ihrem Spielfilmdebut, spielen Alana Haim und Cooper Hoffman mit so ansteckender Freude, als wären sie die abgeklärtesten Hasen im Geschäft. Und das macht einfach 133 Minuten Spaß.

Dem überzeugenden natürlichen Spiel von Haim und Hoffman (Sohn des vierfachen Anderson-Kollaborateurs Philip Seymour), stehen leider die sogenannten namhaften Stars etwas im Wege. Sean Penn, Tom Waits und Bradley Cooper sind ganz ausgenzeichnet für ihre Rollen besetzt, ziehen aber für ihre relativ kurzen Auftritte zu viel Aufmerksamkeit auf sich. Dazu erklärt sich auch nicht, warum Penn mit seinem Jack Holden nur eine Anlehnung an den angedachten William Holden sein darf, Cooper hingegen die reale Inkarnation von Jon Peters darstellt. Lustiger ist das mit George DiCaprio (genau, der Vater), der sich einfach selbst mimt.

Licorice Pizza 3 - Copyright METRO-GOLDWYN-MAYERSie laufen viel. Es ist ein zentrales Motiv bei LICORICE PIZZA, dass viel Raum lässt. Ob Alana oder Gary für sich, oder beide zusammen, manchmal aufeinander zu, dann wieder voneinander weg. Es ist wie ein endloses Suchen nach Halt, nach dem Punkt, an dem es sich lohnt das Laufen aufzuhören. Mit seinem Markenzeichen von langen, sehr fokussierten Plansequenzen, lässt Anderson den Zuschauer immer mitlaufen, nimmt ihn aus der Rolle des Beobachters, und macht ihn zum Verbündeten.

Die Choreographie mit der Kamera ist bei Anderson keine künstlerisch überhöhte Ausdrucksform. Er nutzt die optische Ebene als klares Mittel für eine lebendige Licorice Pizza 4 - Copyright METRO-GOLDWYN-MAYERErzählweise, in der man Dinge und Situationen in ihrer natürlichen Form wahrnimmt. Und das selbstverständlich erneut auf fabelhaften 35mm-Film, von dem Paul Thomas Anderson noch nie abzubringen war. Abwarten, wie lange Kodak mit ihrer Zelluloidfabrikation solchen Filmemachern noch gewogen ist.

Ein großes ‚Ja‘, an alle Technik-Eiferer, Digital ist kostengünstiger und lässt mehr Spielraum in der Nachbearbeitung. Aber Filmemacher die ihre Kunst beherrschen brauchen keinen Spielraum, und sollten wissen was sie tun, bevor sie es tun. Nichtsdestotrotz trifft LICORICE PIZZA mit Andersons formidabler Bildgestaltung auch die optische Atmosphäre seiner behandelten Zeit. Ein klares Bekenntnis an jene Zeit, wie eben auch der Filmtitel.

Darsteller: Alana Haim, Cooper Hoffman, Mary Elizabeth Ellis, Skyler Gisondo, John Michael Higgins und als Gäste Sean Penn, Tom Waits, Bradley Cooper, George DiCaprio und die Haim Familie u.a.
Regie & Drehbuch: Paul Thomas Anderson
Kamera: Paul Thomas Anderson, Michael Bauman
Bildschnitt: Andy Jurgensen
Musik: Jonny Greenwood
Produktionsdesign: Florencia Martin
Kanada – USA / 2021
133 Minuten

Bildrechte: Metro-Goldwyn-Mayer
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