Toy Story 3

„Wir wussten, dass dieser Tag kommen würde. Jedes Spielzeug weiß, dass sein Besitzer einmal erwachsen wird.“

„Ja, aber dieser Tag ist jetzt.“

Es ist nicht mehr sehr eng in Andys Spielkiste. Wie die Zeit vergeht, geht der Junge doch in wenigen Tagen aufs College. Seine Spielsachen sind merklich ausgedünnt, in der Kiste wartet nur noch der restliche harte Kern darauf, ein letztes Mal bespielt zu werden. Oder in einem Plastikbeutel auf dem Dachboden darauf zu warten, wieder einmal ausgepackt zu werden. Schließlich ist man Andys Spielzeug, war es schon immer, und möchte es auch immer sein. Es ist eine eigenartig wehmütige Stimmung, die sich der Film schon in den ersten Minuten selbst auferlegt. Ob Buzz Lightyear oder Cowgirl Jessie, Mr Potato Head oder Dinosaurier Rex, das Spielzeug hat ausgedient. Lediglich Cowboy-Held Woody würde, als liebevolle Erinnerung, einen Regalplatz im Collegezimmer von Andy bekommen.

Lustige und tragische Irrungen und Verwirrungen führen die altbekannten und doch keineswegs angestaubten Spielzeuge durch ein Labyrinth tiefgreifender Emotionen, rasanter Aktionen und spannender Erzählung. Kernpunkt bildet dabei das stete Für und Wider von Woodys nicht zu beugender Bindung zu seinem ‚Kind‘ Andy.

Das zwischen Teil 1 und 2 fünf Jahre, und schließlich bis Teil 3 zehn Jahre vergingen, beweist die Umsicht, mit der Pixar seine filmischen Schätze behandelt. Waren die ersten beiden Teile abenteuerliche Rettungsaktionen, sollte der jüngste Nachfolger zunächst diesem Konzept treu bleiben. Doch mit dem aufkeimenden Gedanken, die sensationell erfolgreiche Reihe als Trilogie abzuschließen, begann sich das Drehbuch anderweitig zu entwickeln. Aus Versehen wird Andys Spielzeug an eine Kindertagesstätte weitergegeben, was an sich die Erfüllung jedes Spielzeugs sein müsste. Doch das Regiment in der Tagesstätte führt Lotso, der nach außen hin knuffige, flauschige Bär. Aber Lotso ist mental überhaupt nicht der Knuddelbär, weil er nach einem traumatischen Erlebnis in allen Kindern nur unzuverlässige Verräter sieht.

Toy Story 3 wird zur GROSSEN FLUCHT im Animationsfilm. Der minutiös durchgeführte Ausbruch von Andys Spielzeug ist eine erstklassige Reminiszenz an die Klassiker des Ausbruchfilms. Doch die Flucht ist nicht belangloser Bestand für originell inszenierte Aktionen. Die Flucht bedeutet für die Figuren auch ein Loslösen von ihrem gewohnten Dasein. Eine Rettung bleibt ihnen verwehrt, sie müssen sich von selbst einem anderen Schicksal anvertrauen können. Das bedeutet auch, dieses Schicksal in die eigenen Hände oder Pfoten oder Hufe zu nehmen. Denn egal, wie sehr Andy auch an seinem alten Spielzeug hängen mag, die Zeit mit Andy, die Zeit des Spielens ist lange vorbei. Teil 1 eröffnete vor 15 Jahren mit einem Schwenk über die Wolkentapete, innerhalb des sicheren Habitats von Andys kleinem Reich. Teil 3 beginnt mit demselben Bild, allerdings ist der Wolkenhimmel dieses Mal echt. Die Realität wartet auf die bisher behüteten Figuren.

Selbstverständlich ist Teil 1 nicht zu übertreffen, der als erster vollständig per Computer animierter Spielfilm Geschichte geschrieben hat. Auch wenn sich Pixar und seine Technik um ein Vielfaches gesteigert haben, was Computer-Animation angeht, konzeptionell hat sich das aber nicht auf diesen dritten Teil ausgewirkt. Zeichnung und Bewegung aller Figuren bleiben dem Original treu. Lediglich die immer komplexer werdenden Hintergründe haben sich dem Photorealismus angenähert. Dass der Film auch noch in 3-D konzipiert und umgesetzt wurde, fügt der Dramaturgie eine zusätzliche, nicht zu unterschätzende Ebene hinzu. Das Spiel mit der räumlichen Tiefe, wird zur erzählerischen Komponente, welche die emotionalen Elemente der einzelnen Figuren heraus hebt. Dabei bilden gerade im Showdown einige Bilder die entscheidende Dramaturgie des Spannungsbogens. Im überbeanspruchten Markt von 3-D-Filmen ist Toy Story 3 eine der ganz wenigen Ausnahmen, bei denen man die Empfehlung für die 3-D-Fassung aussprechen muss.

Viele neue Figuren, wie Lotso, der überkandidelte Ken oder Mr. Pricklepants, geben sich ein erfreuliches Stelldichein. Popkulturelle Anspielungen sind gelungen, aber nicht überspitzt. Für die Film-Geeks sind in Unmengen von Bildern Insider-Gags versteckt. Und natürlich der Luxo-Ball, Pixars Spielzeug der ersten Animationsstunde. Dafür vermissen wir Bo Peep, die porzellanene Schafhüterin, oder auch Wheezy, den asthmatischen Pinguin. Von der grünen Armee sind auch nur noch drei Soldaten übrig, die rechtzeitig den Rückzug antreten. Andy ist eben dabei, erwachsen zu werden. Und das wirft viele Fragen auf, denen dieser Film auf sehr erwachsene Art auf den Grund geht. Das macht TOY STORY 3 zu einem Film, der für Kinder wohl auch funktioniert, aber in erster Linie die Herzen und Gemüter derer bewegt, die fünfzehn Jahre vorher Bekanntschaft geschlossen haben mit diesem einzigartigen Kosmos von Innovation, Humor und Intellekt.

Aufbruchstimmung und Wehmut, aber auch sehr viel Ironie und Herzblut, die sich in Toy Story 3 zu einem komplexen Ganzen zusammenfinden. Gepaart mit dem üblichen, nie übertriebenen Witz und seinen ansehnlichen Action-Einlagen gelingt es diesem Teil, sich nicht über seine Vorgänger zu stellen, sondern das Niveau zu halten und der Trilogie ein fast schon perfektes Ende zu bescheren.
Und über allem säuselt stets, in vielerlei Variationen, Randy Newmans Ode an die Freundschaft.

And as the years go by
Boys, our friendship will never die
You’re gonna see
It’s our destiny

Sprecher: Tom Hanks (Michael Herbig), Tim Allen (Walter von Hauff), Joan Cusack (Carin C. Tietze), Ned Beatty (Klaus Sonnenschein), Michael Keaton (Christian Tramitz), Jodie Benson, Don Rickles, Estelle Harris, Timothy Dalton u.a.

Regie: Lee Unrich – Drehbuch: Michael Arndt nach der Geschichte von Lee Unkirch, John Lasseter & Andrew Stanton – Bildführung: Jeremy Lasky – Lichtkonzept: Kim White – Bildschnitt: Ken Schretzman – Musik: Randy Newman – Stereoskopieführung: Bob Whitehill

USA / 2010 – zirka 102 Minuten

Bildquelle: Disney / Pixar

 

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