NIGHT SKY

Night Sky - Copyright AMAZON STUDIOS– Amazon Prime seit 20.05.2022

Beide sind in die Jahre gekommen. Irene braucht den Treppenlift und nutzt am liebsten den Rollstuhl. Franklin ist sehr rüstig, vergisst aber meist wichtige Dinge. Die Yorks leben bescheiden und ruhig auf ihrem ausladenden Grundstück in der Kleinstadt Farnsworth. Meist nervt Nachbar Byron, da wird Franklin gemein, während sich Irene immer nur gütig zeigt. Manchmal gehen die York nachts hinaus um Sterne anzusehen. Nicht unter freiem Himmel. Sie gehen dazu in den Geräteschuppen, durch eine versteckte Falltür hinab in einen Tunnel, wo sie innerhalb einer stählernen Kugel zu einem Raum an einen unbestimmten Ort teleportiert werden. Dort genießen sie durch ein Panoramafenster einen unbekannten, aber fantastischen Himmel einer fremden Welt. Beschwerden über fehlende Spoiler-Warnung werden nicht akzeptiert, genau wegen dieser, im Trailer beworbenen Ausgangssituation werden wohl die meisten NIGHT SKY sehen wollen, und auch diese Zeilen hier lesen.

Die Stimmung ist geradezu perfekt. Eine ruhige Atmosphäre im Alltagstrott zweier Menschen die nicht viele Worte mehr brauchen um sich zu verstehen. Kameraführung und Ausleuchtung die an Filme des jungen Spielberg erinnern. Aber gleichzeitig weckt das Szenario Hoffnungen auf ein so seltenes und unvorhergesehenes Stück wie Ron Howards COCOON. Und dann dieser erste Blick über die Oberfläche einer fremden Welt, mit dem atemberaubenden Panorama riesiger Planetenkonstellationen. Auf das kann, will, und wird sich der Zuschauer einlassen.

Night Sky 3 - Copyright AMAZON STUDIOSNight Sky 4 - Copyright AMAZON STUDIOSJK Simmons sagte in einem Interview mit Collider, wenn es einzig und allein acht Folgen darum ginge, mit Sissy Spacek alleine auf einer Farm herumzusitzen, hätte er ebenfalls für die Rolle des Franklin zugesagt. Und in weiten Teilen geht es auch darum. Um das alt werden, die Intimität einer Beziehung, und nicht nur das Leben, sondern der biologisch natürlichen Aussicht auf die Sterblichkeit. Verständnis, Rücksicht und die innige Bereitschaft für den anderen, prägen Irene und Franklin. Und dabei könnte man den unglaublichen Charismaten Sissy Spacek und JK Simmons tatsächlich acht Stunden lang zusehen.

In manchen Szenen nimmt NIGHT SKY wirklich diese angenehm leise Atmosphäre von COCOON an, wo das Science Fiction-Element lediglich ein nie in den Vordergrund drängender Leitfaden ist. Das ist aber bei fast 400 Minuten nicht ganz einfach. Mit dem unsympathischen Nachbarn, tut sich ein neuer Handlungsstrang auf. Byron ist mit seiner Frau neu in Farnsworth, weil sie wegen seiner neugierigen Art schon woanders vertrieben wurden. Dann springt die Geschichte nach Argentinien, wo sich Stella und Tochter Toni in der Einsamkeit der Wildnis um eine bedeutsame Kapelle kümmern.

Das Erzähltempo ist dabei sehr gemächlich. Das die einzelnen Figuren irgendwie zusammenkommen müssen ist genauso selbstverständlich, wie der mysteriöse Teleporter unter der Erde die zentrale Rolle ausmachen wird. Aber das will einfach nicht passieren. Neue Figuren kommen hinzu, von Gefahren wird geredet, Dringlichkeiten in die Welt gerufen, Menschen verschwinden, und Menschen erscheinen. Doch die Macher schaffen es nicht, diese einzelnen Stränge verständlich zusammenzuführen. Dem Zuschauer wird außer verschlüsselten Dialogen und loser Spannungsmomente nichts gegeben.

Interessante Entwicklungen stehen immer nur für sich. Von Episode zu Episode wird aufgebaut, aber nichts eingelöst. Zumindest sollten die Zuschauenden soviel Informationen erhalten, dass durch geschickte Hinweise ein einbindendes Rätselraten möglich ist. Aber bei NIGHT SKY lassen die Macher ihr Publikum ziemlich im trockenen, dieses wird nur hinterher gezogen. Die Serie kommt einfach nicht auf den Punkt, zeigt keine klare Linie.

Motivationen sind den einzelnen Figuren gegeben, die aber oftmals an den Haaren herbei gezogen scheinen, weil die Autoren ihnen einfach die Möglichkeit nehmen sich zu erklären. Woher kommt Jude, den Irene im Schuppen findet? Wieso lassen sie ihn solange bei sich, obwohl er einfach nicht reden will. Obwohl er reden könnte, weil Franklin und Irene ihm vertrauen, und Jude weiß das sie ihm vertrauen. Genauso wenig erklärt Stella ihrer Tochter die Situation, obwohl ganz klar gemacht wird, dass Toni die Nachfolgerin wird. Die Macher wollten damit offensichtlich Spannung erzeugen, was sich allerdings ins absolute Gegenteil verkehrt.

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Dabei ist das wirklich interessante an dem Konzept die verschiedenen Figuren, jede mit ihrer ganz eigenen Suche nach Identität, Glauben, oder Verantwortung. Es sind existenzielle Fragen, aber auch Wünsche und Hoffnungen. In einem gut konzeptionierten Film, finden solche Charaktere zueinander, ergänzen sich, geben gegenseitig diesen unbestimmten Halt. Es wäre die Katharsis in einem Drama, wo Science Fiction nur interessante Nebenhandlung ist. Aber im dramaturgischen Ablauf ist bei NIGHT SKY jeder Protagonist den anderen Charakteren im Weg.

Die Figuren selbst erfahren keine greifbare Weiterentwicklung, und eine bessere Trennung zwischen Gut und Böse ist für die Zuschauer auch nicht auszumachen. Dieser Moment des ‚alles ist möglich‘ zieht sich durch alle Episoden, und beginnt bald zu ermüden. Auch, weil die Charaktere im gesamten Verlauf einfach nicht zusammenfinden. Niemand öffnet sich dem anderen. Keiner schafft Vertrauen. Und jeder Wechsel von einem Handlungsstrang zum anderen lenkt den Beobachter wieder von dem vorangegangenen ab.

Was aber NIGHT SKY wirklich schlecht macht, ist die grauenvolle Ausarbeitung von entscheidenden Szenen. So überzeugt ein schlechtes Foto vom Panoramazimmer Byron von der Existenz des außerweltlichen Einflusses. So wie sich Enkeltochter Denise von der übernatürlichen Technologie überzeugen lässt, ohne diese erfahren zu können, ist schlichtweg peinlich. Jude trägt seine angebliche Amnesie wirklich unglaubwürdig vor sich her, und dennoch halten die Yorks zu ihm, was im realen Sinne in so einer Situation für alle Beteiligten absolut unvernünftig ist.

Und dann ist da Irene selbst, die mit ihrer altersweisen Seligkeit immerzu Polizisten dazu überredet, ihren Job entweder gar nicht zu machen, oder wichtigste Elemente von Polizeiarbeit zugunsten der Yorks und ihren Freunden einfach zu ignorieren. Vieles was die Macher geschrieben haben, macht den Ablauf regelrecht unglaubwürdig, und nimmt den Funken von Realismus, den eine Geschichte über fremde Planeten einfach bitter nötig hat. Dazu gehört auch der Abziehbild-Bösewicht im Standard eines schlechten Anzuges, der so nach Klischee gezeichnet ist, dass er zum Ärgernis wird anstatt zum Spannungsaufbau dient.

NIGHT SKY hat eigentlich alles, was eine gute, weil Genre übergreifende Serie braucht. Außer vernünftige Drehbuchautoren, inspirierte Regisseure und einen begabten Showrunner. Nicht zu vergessen die Abteilung für Visuelle Effekte, die ausgerechnet für unnötige Rückblenden ziemlich unnötige De-Aging Prozesse bei Sissy Spacek anwenden, was durch die fragwürdige Technik vollkommen vom Inhalt ablenkt. Das Potential einer einfallsreichen Prämisse mit zwei ganz herausragenden Darstellern, wurde regelrecht verschwendet. JK Simmons und Sissy Spacek, über acht Folgen alleine in einem Farmhaus, vielleicht wäre das sogar die bessere Alternative gewesen.

Night Sky 2 - Copyright AMAZON STUDIOS

 

Darsteller: Sissy Spacek, J.K. Simmons, Chai Hansen, Kiah KcKirnan, Julieta Zylberberg, Adam Bartley, Rocio Hernández, Cass Buggé u.a.
Regie: Philip Martin, Juan José Campanella, Shari Springer Berman, Sara Colangelo, Jessica Lowrey, Victoria Mahoney, Robert Pulcini
Drehbuch: Holden Miller, Daniel C. Connolly, Ezra Claytan Daniels, Anne-Marie Hess, Allison Moore
Kamera: Ashley Connor, Andrew Wehde, Pablo Desanzo
Bildschnitt: Josh Beal, Sharidan Williams-Sotelo, Joe Giganti
Musik: Danny Bensi, Saunder Jurriaans
Produktionsdesign: Scott Kuzio
USA / 2022
8 Episoden
ca. 400 Minuten

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