THE MENU

Menu - Copyright 20th CENTURY STUDIOS– Bundesstart 17.11.2022

Elf elitäre Personen der obersten Gesellschaft, eine einsame Insel, ein Küchenchef mit soldatisch unterwürfigen Köchen, und eine snobistische Atmosphäre, wie sie nicht verheißungsvoller sein könnte. Es ist wie die erwachsenen Version von FANTASY ISLAND, mit einer Vorahnung von EINE LEICHE ZUM DESERT. Das Mysterium beginnt schon damit, dass wir vom aufziehenden Unheil wissen. Aber wir haben nicht die geringste Vorstellung von dem, was passieren könnte. Die Autoren Seth Reiss und Will Tracy haben sich bei der Arbeit für das Satiremagazin THE ONION kennengelernt. Tracy hat aber auch für die bitterböse Familienchronik SUCCESSION geschrieben, für die Regisseur Mark Mylod einige Folgen inszenierte. Ein weitergesponnenes Produkt aus diesen persönlichen Verbindungen ist THE MENU. Eine beißende Satire, eine rabenschwarze Komödie, und ein nervenaufreibender Thriller.

Diese Gäste werden keine einfachen sein, erfahren wir bereits am Pier, vor der Abfahrt zur Insel, wo wir flüchtig mit ihnen vertraut gemacht werden. Diese Gäste unternehmen diesen Tag nicht wegen des sündhaft teuren, aber extravaganten Menüs, sondern weil sie in ihrer Überheblichkeit ihren Wohlstand zur Schau stellen müssen. Nur Margot sticht aus der Gruppe heraus, die spontan den überschwänglich begeisterten Tyler begleitet. Margot bleibt ein Rätsel, genau wie die Absicht von Chef Julian Slowik, der ein mehrgängiges Menü vorbereitet hat, das weit über essen und genießen hinausgeht.

Was etwas enttäuscht, sind Peter Demings Bilder, die dem überspitzten Rahmen der Geschichte keine besondere Note geben. Da hat Deming bei CABIN IN THE WOODS die Räumlichkeiten thematisch angemessener hervorgehoben, oder für NOW YOU SEE ME 2 das Erlebnis der Zaubershow zum optischen Spektakel gemacht. Allerdings kommt auch das Bühnenbild von Ethan Tobman nicht über den Standard eines gehobenen Restaurants hinaus. Die Spielstätte ist lediglich Kulisse, wo sie eigentlich wie ein eigenständiger Charakter funktionieren  sollte.

Was Peter Demings allerdings hervorragend gelingt, ist das Einfangen subtiler Charakter-Momente. Was Mark Mylod mit den Figuren inszeniert, verstärkt Deming mit eleganten, meist flüchtigen Einstellungen von Interaktionen zwischen den Darstellern. Genau diese Bilder mit ihren mysteriösen Deutungsmöglichkeiten, unterstützen noch die von Mylod angedachte Spannungssteigerung. Was in erster Linie auf Anya Taylor Joy und Ralph Fiennes angewandt wird, die sich erstklassige Duelle in Spiel und Dialog liefern.

Bilden Taylor-Joy und Fiennes den dramaturgischen Mittelpunkt, ist dieser aber eher fließend zum Rest des Ensembles. Denn jede Person, ob Gast oder Angestellter, hat eine Bedeutung die für das Konzept dieses sehr speziellen Menüs wichtig ist. Reiss und Tracy haben dabei nicht einfach Schachfiguren entworfen, sondern sehr individuelle Charaktere. Zusammengenommen verkörpern sie alle jene Wesenszüge, die Menschen in diesen gehobenen Gefilden so unangenehm und manchmal sogar verachtenswert machen.

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Mark Mylod ist es gelungen einen sehr extravaganten Thriller zu inszenieren, der zuerst mehr Fragen aufwirft, anstatt Spannung zu erzeugen. Der Entwurf hätte sehr leicht seinen Geschmack verlieren können. Aber Mylod lässt das Gericht sehr behutsam aufkochen, ergänzt das Ganze mit immer neuen Zutaten, und verfeinert nach und nach mit immer raffinierteren Gewürzen. Aus der absurd wirkenden Ausgangssituation entwickelt Mylod mit sehr viel Fingerspitzengefühl für Timing und das Wesentliche seiner Geschichte, einen immer wieder überraschenden Thriller mit unerwarteten Einschüben.

Zwei Generationen an exzellenten Darstellern, Taylor-Joy und Fiennes, bereiten mit fast schon obligatorischer Selbverständlichkeit eine erwartungsgemäße Leistungsschau von packendem Talent. Die eine herrlich expressiv und provokant, der andere fabelhaft stoisch introvertiert. Man darf beide als Hauptgang bezeichnen, die dieses Rezept gerade wegen seiner satirischen Gemeinheiten und zynischer Sozialstudien zu einem überzeugenden, gleichsam faszinierenden Psychothriller machen. Und damit funktionieren auch die wenigen Schockmomente so hervorragend.

THE MENU ist trotz seiner wirklich fabelhaften Einfälle und rabenschwarzen Kommentare nicht jedermanns Sache. Es ist kein Film bei dem wir einfach so in herzhaftes Gelächter verfallen, auch wenn ein grandioser Nicholas Hoult als devoter Verehrer des Chefkochs, aus Begeisterung über das servierte Menü jeden noch so blutigen Zwischenfall einfach ignoriert. Und trotz gelungener, weil plausibler Gewaltszenen ist es auch kein Film für Horror-Fans.

Ob THE MENU eine Antwort auf die immense Anzahl von Fernsehköchen, Kochsendungen, ausrangierte Filmstars, Investment-Banker oder soziales Ungleichgewicht sein soll, überlässt uns Mark Mylod zum Glück selbst. Und darin besteht ein sehr großer Anspruch, den der Film auch erfüllt. Wir sollten eventuell aufgeworfene Fragen auch wirklich selbst interpretieren. Und seine überraschende Auflösung, dieses überragende, überraschende Auflösung bringt nicht alles, aber vieles auf den Punkt. Hut ab, wie exzellent der Film zu Ende gedacht ist.

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Darsteller: Ralph Fiennes, Anya Taylor-Joy, Nicholas Hoult, Janet McTeer, John Leguizamo Judith Light u.a.
Regie: Mark Mylod
Drehbuch: Seth Reiss, Will Tracy
Kamera: Peter Deming
Bildschnitt: Christopher Tellefsen
Musik: Colin Stetson
Produktionsdesign: Ethan Tobman
USA / 2022
106 Minuten

Bildrechte: 20th CENTURY STUDIOS
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