THE WOMAN KING

Woman King 3 - Copyright SONY PICTURES– Bundesstart 06.10.2022

Zieht man einen inhaltlichen und inszenatorischen Querschnitt durch die Regiearbeiten von Gina Prince-Bythwood, wäre die Quintessenz THE WOMAN KING. Geschichte, Biografie, Drama und Action. Ein Epos, dass durch seine vielschichtige Mischung plausibel und glaubwürdig wird, weil die angeführten Genreelemente aufeinander aufbauen und sich gegenseitig tragen. Es ist 1823 im afrikanischen Königreich Dahomey, das von einer reinen Frauenarmee verteidigt wird. Die Agojie-Kriegerinnen dürfen nicht verheiratet sein und keine Kinder haben. Und sie müssen über ein gewisses Temperament verfügen, um auch die notwendige Aggressivität für einen rücksichtslosen Kampfeinsatz aufbringen zu können. Wegen der hohen Verluste von Männern in den Kriegen gegen andere Staaten, und durch den Sklavenhandel, wurden die Agojie gegründet. Und in 1823 ist Nanisca die Anführerin von King Ghezos Armee.

Es ist eine starke, aber weitgehend unbekannte Geschichte, die sehr präzise dem aktuellen Zeitgeist entspricht. THE WOMAN KING ist ein Werk, das man ohne weiteres einen sogenannten ‚Oscar-Köder‘ nennen darf. Das muss er sich gefallen lassen. Aber das kann er sich auch gefallen lassen, denn an Gina Prince-Bythwoods Film ist nichts verkehrt, und gerade das macht ihn auch so attraktiv. Eine außergewöhnliche Frauenfigur, der Wegbereiter für so etwas wie die Frauenbewegung, und der Kampf gegen den Sklavenhandel. Dennoch will der Film nicht als Plädoyer verstanden werden, sondern als ansprechende Unterhaltung mit Tiefgang.

Die Agojie haben gerade ein ganzes Dorf befreit, das an Sklavenhändler verkauft werden sollte. Zur selben Zeit wird die junge Nawi zu der Kampftruppe gebracht, weil sich das Waisenkind ihrem Ziehvater widersetzte. Eigentlich profitiert das Dahomey-Reich vom Sklavenhandel, aber König Ghezo ist am umdenken. Denn die eigensinnige Nanisca bringt mit kühnen, aber erfolgreichen Befreiungsaktionen immer wieder das wesentlich stärkere, vom Sklavenhandel geprägte Oyo-Reich gegen Dahomey auf. Doch Neuankömmling Nawi bringt Heerführerin Nanisca aus dem Konzept, nicht nur wegen ihres unerschütterlichen Ehrgeizes.

Was sich wie eine für den Massengeschmack aufbereitete Geschichte ausnimmt, ist auch eine. Doch eine, die auf einer sehr soliden Basis ruht. Mit wenigen Mausklicks ist leicht nachzuprüfenden, wie real der historische Hintergrund, die Traditionen, die kulturellen Verflechtungen und vor allem die Agojie selbst nachempfunden sind. Es sind nicht einzelne Elemente die bei THE WOMAN KING begeistern, sondern wie stark diese Elemente zusammengeführt wurden. Sozialkritische Kommentare eingeschlossen, aber die sind zugunsten der Glaubwürdigkeit von Historie und Erzählung sehr verhalten. Heutzutage wären die Wege der Agojie sehr fragwürdig.

Die Kampfszenen und Trainingseinheiten sind in ihrer straffen Inszenierung ein optischer Genuss, und sicherlich das Kernstück welches die Mehrzahl an Zuschauern generiert. Anfänglich sorgte die ursprüngliche Brutalität der Agojie für starke Bedenken bei der Produktion. Die Regisseurin entschied sich aber für ein korrektes Abbild, womit die drei im Film gezeigten Schlachtgemälde sehr rational und unbarmherzig ausfallen. Nicht graphisch explizit, aber in Absicht und Ausführung eindeutig. Die Kriegerinnen sind keine Heroinen, sondern dürfen, und sollten auch in ihrer Kaltblütigkeit hinterfragt werden.

Woman King 1 - Copyright SONY PICTURES

 

Prince-Bythewood rückt ohnehin etwas vom typischen Heldenbild ab, und zeigt die Charaktere als Menschen die auch mit Fehlbarkeit und Emotionen zu kämpfen haben. Wenn die Agojie in vermeintlicher Feierabend-Stimmung am Lagerfeuer singen und tanzen, dann hat das durchaus etwas von Film-typischer Folklore. Sie wirkt aber weder ausgesetzt noch peinlich, sondern gewinnt durch die Darsteller eine einnehmende Natürlichkeit. Eine Natürlichkeit, die sich die Darstellerinnen auch in den Trainingssequenzen bewahren, welche den feingliedrig anmutenden Frauenkörpern offensichtlich einiges abverlangen.

Mit längeren Einstellungen und weiteren Bildausschnitten kann man auch stets den Schauspielerinnen bei ihren akrobatischen Kampfkünsten sehr gut folgen. Die Kameraführung ist sehr genau darauf bedacht, dass man die Darstellerinnen auch als die kämpfende Person erkennt, und ein Stunt-Double ausschließen kann. Stunt-Coordinator Daniel Hernandez hat hier erstaunliche Arbeit vollbracht, weil man nicht nur bei zwei oder drei Darstellerinnen, sondern bei allen sehen kann, dass sie auch wirklich einem körperlich weitaus stärkeren Gegner ohne Weiteres überlegen sind. Genau diese sichtbaren, auf Schnitt und Kameratricks verzichtenden Kernelemente machen den Film besonders.

Aber nicht nur. Über Viola Davies braucht man ja eigentlich nicht viel zu sagen, die jede ihrer Rollen gegen die erwarteten Konventionen interpretiert. So überzeugt sie auch als Nanisca mit einer Verletzlichkeit, die ihre unerbittliche Härte nur viel ehrlicher macht. Als würdevoller König scheint John Boyega im ersten Gedanken vielleicht etwas abwegig. Aber der aufstrebende Brite überzeugt mit unbestreitbarer Souveränität, die in Mimik und zurückhaltendem Spiel überwältigende Ähnlichkeit mit dem jungen Denzel Washington aufweist.

Eine weitere herausragende Stärke im Inszenierungsstil ist die Führung des hauptsächlich weiblichen Ensembles. Hervorgehoben durch Thuso Mbedu, Lashana Lynch und Sheila Atim, agieren und sprechen die Frauen eben nicht in einer vermeintlich der Zeit angepassten Ausdrucksweise. Die Schwarzen Darsteller sprechen zwar mit markant afrikanischem Akzent, aber verfallen nie in künstlich überzogene Formen. Ihre Ausdrucksweise ist erfrischend modern, somit ansprechend natürlich, allerdings ohne in unzeitgemäße Phrasen zu verfallen.

THE WOMAN KING ist ein unerschrockenes Epos, das bereit ist sich Kontroversen zu stellen, in dem es unverfälscht der Geschichte treu bleibt. Was seinerzeit als gerecht und angemessen betrachtet wurde, ist 200 Jahre später nicht mehr vertretbar. Eigentlich. Denn genau das macht die inhaltliche Stärke des Films aus, den Gina Prince-Bythewood mit selbstsicherer Präzision inszeniert hat. Sie überzeugt mit viel Sensibilität in der Ausgestaltung und dramaturgischen Gewichtung jeder Szene, wo sich Action und Drama eben nicht einfach abwechseln, sondern ineinandergreifend gegenseitig aufbauen. Und das hat schon die epischen Klassiker so stark gemacht, in dem alle Elemente einer Geschichte auch in jeder Szene spürbar bleiben.

Woman King 2 - Copyright SONY PICTURES

 

Darsteller: Viola Davies, Thuso Mbedu, Lashana Lynch, Sheila Atim, John Boyega, Hero Fiennes Tiffin, Jimmy Odukoya u.a.
Regie: Gina Prince-Bythewood
Drehbuch: Dana Stevens
Kamera: Polly Morgan
Bildschnitt: Terilyn A Shropshire
Musik: Terence Blanchard
Produktionsdesign: Akin McKenzie
USA / 2022
135 Minuten

Bildrechte: SONY PICTURES ENTERTAINMENT
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