BABYLON – Rausch der Ekstase

Babylon - Copyright PARAMOUNT PICTURES– Bundesstart 19.01.2023

BABYLON ist ein leidlich erträgliches Fiasko an Anachronismen, inkohärenter Struktur, fehlendem Rhythmus und kreativer Willkür. Es gibt nur wenige bedeutende Szenen in Damien Chazelles überlangen Machwerk, die mitreißen, bewegen und durch Scharfsinn überzeugen. Aber wirklich getragen wird BABYLON von lauten, ausufernden und, im negativen Sinne, Nerven aufreibender Sequenzen. Und das mit einer aufdringlich inszenierten Hauptdarstellerin, die erneut beweist, dass ihr Hysterie und Aufdringlichkeit mehr liegt, als nuanciertes Schauspiel. BABYLON ist ein überzogener Abriss eines Hollywoods, wie es durch Legenden, Neider und der Klatschpresse geschaffen wurde. Nicht das es die ausschweifenden Exzesse auf Partys oder Filmsets nicht gegeben haben soll, das steht außer Frage. Aber Damien Chazelles beabsichtigter, frenetischer Inszenierungsstil macht es unmöglich auch nur im Ansatz vermuten zu können, wo die Grenzen von kreativem Wahn und gesetzter Wirklichkeit verlaufen könnten.

Von 1926 an, zum Tonfilm, bis in die 1930er, mit einem Epilog Mitte der 50er. Hauptprotagonist ist eigentlich Manuel Torres, verkörpert von Diego Clava, der mit diesem, seinem Hollywood-Debüt durch seine unglaublich eindringliche Zurückhaltung begeistert. Der ausgewanderte Mexikaner träumt eigentlich davon beim Film zu arbeiten, ist aber bei Medienmogul Randolph Hearst als Laufbursche gestrandet. Im Film fungiert Manny, wie er sich später nennen wird, als Beobachter stellvertretend für das Publikum. Eher unfreiwillig wird er zum Helfer und Vertrauten des aufstrebenden Starlet Nellie LaRoy und dem gefeierten Schauspieler und Produzenten Jack Conrad.

LaRoy und Conrad sind Figuren die sich am Starlet Clara Bow und dem Schauspieler John Gilbert orientieren – dem sogenannten, skandalträchtigen ‚It-Girl‘, und dem bis zum Ende der 30er höchstbezahlten Darsteller beim Film. Wirkliche Biografien sind das natürlich nicht, denn Damien Chazelle ist viel mehr daran interessiert eine Farce zu präsentieren, die den Aufbruch von Hollywood mit überzogenem Witz und viel Sarkasmus nachstellt. Selbst mit dem roten Faden von Bow und Gilbert alias Nellie LaRoy und Jack Conrad verkommt BABYLON zu einer Nummernrevue von aberwitzig unterschiedlichen Ausrichtungen und Qualitäten.

Der größte Anteil an Sequenzen ist laut und hektisch, was ganz offensichtlich als dynamisch und aufwühlend angedacht war, aber nur nervenzehrend wirkt. Die visuelle Umsetzung ist eigentlich tadellos, es scheitert schlichtweg an Ideen in der Inszenierung. Das Team Linus Sandgren an der Kamera, Tom Cross im Schnitt und Justin Hurwitz mit der Musik, haben mit dem Regisseur schon in variierenden Konstellationen bei WHIPLASH, LA LA LAND, FIRST MAN, und NO TIME TO DIE zusammengearbeitet. Die Kamera weiß immer genau was sie tut und wo sie hin muss, setzt das aber unentwegt mit schwindelerregenden Zufahrten und Tracking-Shots um. Der Schnitt pulsiert regelrecht. Das Team ergänzt sich hervorragend. Nur das die freigesetzte Energie ermüdet anstatt zu mitzureißen.

Nach dem erschöpfenden Opening, das immerhin 30 Minuten dauert, hat Justin Hurwitz’ Soundtrack die Geduld mit seinem einfältigen Hauptthema bereits ausreichend strapaziert. Der stampfende Rhythmus und die quäkenden Instrumente dominieren unablässig die meisten, ohnehin überfrachteten Szene. Das Thema langweilt wegen gnadenloser Übersättigung dann selbst im zurückgenommenen Ragtime. Denn 189 Minuten werden zu einer unendlich scheinenden Zeitspanne, wenn Chazelle es fertig bringt, das Hauptthema von Justin Hurwitz in fast jeder Szene variationslos zu verwenden.

Babylon1 - Copyright PARAMOUNT PICTURES

 

Hier ein für eine halbe Sekunde ein kopulierendes Paar, dort ein flüchtiger nackter Oberkörper in der Menge, und jede Menge jubelnder und jauchzender Party-Gänger. Das macht aber lange nicht das skandalöses Ambiente, mit dem sich BABYLON scheinbar gerne einhüllen würde. Mittendrin immer wieder Anleihen bei wahren Begebenheiten, wie Fatty Arbuckles tödliche Vergewaltigung an Virginia Rappe. Was letztendlich alles irrelevant und nichtig wird, weil Damien Chazelle die realen Ereignisse nicht in einen nachvollziehbaren Kontext zu seiner Erzählung zu setzen versteht. Tragödien verkommen zu Schauwerten. Der Vorwand der Satire zerstört die eigentliche Leidenschaft hinter dem seinerzeit tatsächlich existierenden Chaos des damaligen Produktionsbetriebes.

Drei außerordentliche Szenen in BABYLON verdeutlichen, wie verkehrt Damien Chazelle mit dem ganzen Rest seiner Inszenierung liegt. Als Estelle Conrad, die vom Theater kommt, Jack bei einer Drehbuchlesung helfen möchte, verfällt der fallende Filmstar in eine flammende Wutrede. Lautstark tobt er sich über die Faszination, Macht und Wirkung des Kinos aus. Jack Conrads Worte treffen dabei den Kern, der auch heute noch Gültigkeit besitzt, um die Bedeutung für das Kino zu verdeutlichen. Jemanden die beste Rolle seiner bisherigen Karriere zu bescheinigen, ist meistens eine begeisterte Überreaktion aus dem Moment heraus. Aber bei Brad Pitt sollte dies für BABYLON in Betracht gezogen werden.

Mit Diego Calva ist Brad Pitt einer der wenigen Faktoren, die diesen Film einen gewissen Wert abringen. Gegen Ende wird die Klatschkolumnistin Elinor St. John einen am Boden zerstörten Jack Conrad erklären, warum seine Karriere beendet ist, und wie unbedeutend dieses Ende für die Geschichte von Hollywood sein wird. Jean Smart erreicht hier mit ihrer ruhigen, aber sehr eindringlichen Stimme einen erstklassigen Gänsehaut-Moment. Sie ist neben Manny und Jack die am besten beschriebene Figur, bei der Smart nie große Gesten benötigt., Nach der Wutrede ist es genau diese Szene, mit der Brad Pitt, nur auf seinen Gesichtsausdruck beschränkt, als einer der großartigsten Darsteller seiner Zeit nicht mehr in Frage gestellt werden darf.

Der Musiker Sidney Palmer ist ein Schwarzer, der es eigentlich in Hollywood geschafft hat. Bis zu dem Moment, wo seine Haut doch noch zu hell für die Kamera ist. Was folgt, fasst die ganze, heute noch beständige Verlogenheit und den bitteren Zynismus in der Industrie zusammen. Als Palmer kann Jovan Adepo in nur einer Einstellung den ganzen Schmerz transportieren, der mit den Demütigungen und psychischen Wunden im Show-Geschäft bis heute einhergeht. Szenen wie diese hätten BABYLON zu einem Juwel gemacht. Aber Damien Chazelle wollte offensichtlich etwas anderes. Und was er im Zuge dessen an realen Personen und tatsächlichen Ereignissen eingewoben hat, schmerzt und ergibt kaum Sinn.

„Wir alle können ersetzt werden, und wir werden ersetzt. Was aber bleibt ist die Idee von Hollywood. Diese Idee ist größer als wir alle.“ Es sind sicherlich keine neuen philosophischen Ansätze um das Phänomen Hollywood zu erklären. So wie es aber Jean Smart sagt, gehört es zu den wenigen Momenten in diesem Film, die unter die Haut gehen. Und diese Worte sind Synonym für diesen Film, der nicht annähernd an das heranreicht, was er eigentlich vorgibt zu sein.

Babylon 2 - Copyright PARAMOUNT PICTURES

 

Darsteller: Brad Pitt, Jean Smart, Diego Calva, Jovan Adepo, Olivia Wilde, Margot Robbie,  Lukas Haas, Tobey Maguire, Flea, Max Minghella, Li Jun Li, Eric Roberts u.a.
Regie & Drehbuch: Damien Chazelle
Kamera: Linus Sandgren
Bildschnitt: Tom Cross
Musik: Justin Hurwitz
Produktionsdesign: Florencia Martin
USA / 2022
189 Minuten

Bildrechte: PARAMOUNT PICTURES
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