RETRIBUTION

Retribution - Copyright LIONSGATE– Bundesstart 14.9.2023
– Release 23.08.2023

Preview zum Kinofest 09.09.2023
In einer Szene sagt ein Protagonist, dass eben auf die Pünktlichkeit der Deutschen Bahn Verlass wäre. Das könnte herrlich bissige Ironie sein, ist es aber nicht, weil der Satz Bezug nimmt, auf den eigentlich entscheidensten Faktor im gesamten Konstrukt des Films. Das ist kein Spoiler für diejenigen, die bis zu diesem Zeitpunkt die vermeintlich überraschende Wendung schon längst erahnt haben. Und das dürften in der Regel auf die meisten im Publikum zutreffen. Es ist eine Geschichte von der Stange, aus dem Laden für billige Zweite Wahl Klamotten. Er hat sich durch die Arbeit von Frau und Kindern entfremdet. Sie will die Scheidung. Die Kinder hassen ihn geradezu. Seine kalte und ignorante Haltung ändert sich erst schlagartig, als eine Bombe im Auto platziert wird, die ihn und seine Kinder in Stücke reißen würde, wenn einer von ihnen das Auto verlassen sollte. Er, ist in diesem Fall Finanzmakler Matt Turner, verkörpert von einem sehr müde wirkenden Liam Neeson.

Es ist bereits 14 Jahre her, als das Action-Genre in Gestalt des Nordiren mit der markanten Stimme, neu definiert wurde. Verdient und mit unzähligen Nachahmern. In TAKEN – 96 HOURS machte er eine als alt abgehandelte Generation von Schauspielern zu glaubwürdig realistischen Action-Helden. Den größten Anteil an dieser überzeugenden Verkehrung des demografisch motivierten Klischees des jugendlich frischen Draufgängers, war Neesons Wesen als präsenter Charakter-Darsteller. Dieses neue Leitbild konnte mit THE GREY noch einmal erfolgreich vertieft und verstärkt werden. Ein produktives Vorbild für gleichaltrige Kollegen, aber eine Katastrophe für den Initiator selbst.

Gefühlt hat sich Liam Neeson die letzten zehn Jahre nur noch durch das gleiche Muster von einfach gestrickten Thrillern bemüht, wobei die schauspielerische Leistung immer weniger gefragt schien. Tatsächlich nur gefühlt, weil seine Charakter-Rollen im Rausch billiger Action einfach untergingen. Die bissige Action-Farce COLD PURSUIT war ein kurzes Aufblitzen, mit dem Neeson seinen TAKEN-Auftritt selbst in den Schatten stellte. HONEST THIEF, MARKSMAN, ICE ROAD oder BLACKLIGHT blieben traurige Versuche. Für RETRIBUTION wird nun mit den Produzenten der Neeson-Vehikel NON-STOP und THE COMMUTER geworben. Auch das sind Titel, mit denen man nicht werben sollte.

Matt Turner sitzt also mit seinen Teenager Kindern im Wagen auf dem Weg zur Schule. Über ein im Mercedes hinterlegtes Smartphone wird er über die Bombe im Auto informiert. Trotz Kopfhörer kann er die Lage nicht lange von den Kindern geheim halten, denn sollte jemand versuchen das Auto zu verlassen, wird die Bombe explodieren. Der unbekannte Anrufer hat auch andere Kollegen von Turner im Griff, navigiert jeden einzeln geschickt in dessen Nähe, und lässt sie in einem Feuerball aufgehen. Der Erpresser hat seine Schachzüge so geschickt gesetzt, dass die Polizei von Turner als Täter überzeugt ist. Jetzt kann der Finanzmakler den Verantwortlichen nur alleine zur Strecke bringen.

Retribution 1 - Copyright LIONSGATE

 

Es gibt einige sehr spannende Sequenzen in RETRIBUTION, die allerdings mehr versprechen, als der Film halten kann. Wenn Turner seinem Kollegen Sylvain von Auto zu Auto gegenüber steht, die Sylvains Beifahrerin versucht auszusteigen, und sich auch noch ein alarmierter Polizist Sylvains Auto nähert, da läuft der Thriller auf Hochtouren. Die Inszenierung liefert im Timing von Kameraführung und Schnitt schweißtreibenden Nervenkitzel. Später soll sich der Moment wiederholen, doch da sackt die Kunst der Gestaltung schon ziemlich in den Keller. Zu sagen, es hat in jüngster Zeit keinen uninspirierteren Action-Thriller gegeben, ist hart, aber leider gerechtfertigt.

Schon die Einstiegssequenz mit dem boxenden Matt, schreit nach der Aufmerksamkeit, was für eine tolle Person dieser Turner ist. Nur ist keine der Figuren eine toller Charakter, keine ist in irgendeiner Weise sympathisch. Die Kinder kosten Nerven, aber nicht wegen des Thrills. Die anderen scheinen nie instruiert worden zu sein, was sie im Film für eine Aufgabe haben. Das ist traurig für den ungenutzten Arian Moayed als Sylvain, und absolut unverständlich für die planlos durch das Set geführte Embeth Davidtz als Gattin und Mutter der Kinder. Was dann doch noch durch Matthew Modine überboten wird, der seit circa 20 Jahren in derselben Rolle des Undurchsichtigen hängen geblieben scheint.

Nimród Antal schafft einfach keine ansprechende Optik und keinen geschlossenen Handlungsbogen. Immer wieder handelt der Film gegen seine eigene Vorgaben. Ohne Konszequenzen kann Turner im Auto immer wieder tun was er will, solange er nicht aussteigt. Neeson wirkt nie wie ein Opfer unter Strom, sondern wie ein orientierungsloser Schauspieler. Antal nutzt seine Werkzeuge einfach nicht. Die Szenen innerhalb des Wagens sind höchstens zweckmäßig umgesetzt, aber nie intensiv oder spannend. Ein Blick auf Steve Knights LOCKE – NO TURNING BACK zeigt exzellent, wie man einen kompletten Film nur in einem Auto, und mit einem einzigen Darsteller inszeniert.

Die vermeintliche Amokfahrt von Matt Turner müßte nach zehn Minuten zu Ende sein. Aber nicht bei den Berliner Polizeibeamten, die mit ihren Straßenblockaden konsequent wie ein Haufen unfähiger Trottel dargestellt werden. Das hat nicht das Geringste mit der Kunst des Fahrers zu tun, sondern ist auf die Einfallslosigkeit des Regisseurs zurück zu führen. Beschämend, wie dafür öffentliche Dienststellen vorgeführt werden. RETRIBUTION ist bereits das dritte (!) Remake des spanischen Films ANRUFER UNBEKANNT von 2015. Dennoch kann Nimród Antal nichts mit dem Material anfangen, weder mit seinem Kreativteam, noch mit den Akteuren. Obwohl ihm alles in die Hand gelegt wurde. Ein Film der sich leider nicht einmal in die Reihe von THE COMMUTER und NON-STOP einfügt.

Retribution 2 - Copyright LIONSGATE

 

Darsteller: Liam Neeson, Lilly Aspell, Jack Champion, Noma Dumezweni, Arian Moayed, mit Embeth Davidtz & Matthew Modine u.a.
Regie: Nimród Antal
Drehbuch: Alberto Marini, Chris Salmanpour
Kamera: Flavio Martinez Labiano
Bildschnitt: Steve Mirkovich
Musik: Harry Gregson-Williams
Produktionsdesign: David Scheunemann
USA, Spanien, Frankreich, Deutschland / 2023
91 Minuten

Bildrechte: LIONSGATE
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