WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN und seine Mängel

Tilda Swinton spielt Eva, eine Mutter die in ihren Bemühungen scheitert eine Beziehung zu ihrem Sohn Kevin aufzubauen. Swinton spielt diese Rolle mit der von ihr zu erwartenden Eindringlichkeit. Jede Szene mit ihr ist mit starken Emotionen geladen. Sie erweist sich wieder einmal als dieses Ausnahmetalent, das mit Minimalismus so viel transportieren kann, wie es selbst bei Spitzenakteuren nur wenigen vergönnt ist. Mühelos pendelt sie zwischen Independent- und Mainstream-Kino ohne in ihrem Spiel überspitzen zu müssen, oder unterfordert zu wirken. Tilda Swinton ist ein sehenswertes Phänomen, welches WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN zu einer emotionalen Tour-de-Force werden lässt. Die Erzählstruktur des Films unterstützt Swinton dabei allerdings nicht, sondern steht ihr manchmal sogar im Weg.

Regisseurin Ramsay und ihrem Co-Autor und Lebenspartner Rory Kinnear gelingt es nicht wirklich, den Film im richtigen Rahmen spannend zu gestalten. In dem Versuch Spannung zu erzeugen, die innere Zerrissenheit weiter und weiter aufzudecken, während die äußeren Einflüsse Schritt für Schritt klarer werden, scheitert genau an diesem Anspruch. Erst ab der Hälfte seiner Laufzeit bekommt der Zuschauer eine vage Vorstellung von den Ereignissen, welche Eva Khatchadourians Leben so aus der Bahn geworfen hat. Und einem Thriller gleich, steht dieses auslösende Ereignis als schockierender Höhepunkt am Ende von WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN. Leider funktioniert das nicht. Als Zuschauer ist es fast schon von Vorteil, wenn man die Ausgangsgeschichte im Vorfeld kennt, um die emotionale Berg- und Talfahrt wahrhaftig spüren zu können. Mit Ezra Miller, Jesper Newell und Rock Duer hat man visuell sehr identische Darsteller für den heranwachsenden Kevin gefunden. Doch während die Drei fantastisch spielen, ist der Charakter selbst zu drastisch angelegt, als das man die Liebe der Mutter nachvollziehen könnte. Der Soziopath Kevin ist ein hassenswerter Charakter, dem leider verwehrt wird gefühlsmäßige Unsicherheit beim Zuschauer hervorzurufen.

Der Film erzählt sich in dem er ständig in der Zeit hin und her springt. Das allerdings gelingt Ramsay und Kinnear sehr gut, weil dadurch Ursachen und Wirkungen eine besondere Dynamik erhalten. Schuld, Sühne, Vergebung. In Evas Leben ist dies ein ständiger Kreislauf, ein quälender Kreislauf, der den Zuschauer mitreißt und unablässig die Frage herausfordert, was man selbst tun würde. Dabei fällt die übertriebene Symbolik derer sich der Film in gewissen Farben und Kameraspielereien bedient, kaum ins Gewicht. Was würde man selbst tun, als Mutter, als Außenstehender, als Betroffener? Als Unbeteiligter kann man sich leicht ein Urteil über Eva und ihrer Beziehung zu Kevin bilden, aber dem Film gelingt es den Zuschauer immer wieder in eine Ecke zu drängen und den Zuschauer Stellung beziehen zu lassen. Das wäre mit einer gefälligeren Struktur im Drehbuch, wo die eigentliche Auflösung früher deutlich werden sollte, zu einem fulminanten Filmerlebnis gesteigert worden. WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN ist aktueller denn je, aber nicht ganz der Film, der er hätte sein können.


Darsteller: Tilda Swinton, John C. Reilly, Ezra Miller, Jasper Newell, Rock Duer, Ashley Gerasimovich, Siobhan Fallon u.a.
Regie: Lynne Ramsay
Drehbuch: Lynne Ramsay, Rory Kinnear
Kamera: Seamus McGarvey
Bildschnitt: Joe Bini
Musik: Jonny Greenwood
Produktionsdesign: Judy Becker
Großbritannien-USA / 2011
zirka 112 Minuten

Bildquelle: Oscilloscope Pictures/BBC Films
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