VERGIFTETE WAHRHEIT

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– Bundesstart 08.10.2020

Eigentlich ist Robert Bilott Unternehmensanwalt bei Taft Stettinius & Hollister in Cincinnati, Ohio. Seine Kanzlei berät und vertritt E. I. du Pont de Nemours and Company, eines der größten Chemie-Unternehmen der Welt. Mark Ruffalo spielt diesen Anwalt, nicht weil er ihm ähnlich wäre, sondern weil Mark Ruffalo ein persönliches Interesse an der Geschichte hat, und deshalb diesen Film produzierte. Der Schauspieler ist mit 1,73 für Hollywood-Standards relativ klein. Das ist für Kameramann Edward Lachman keine Not aus der man eine Tugend machen müsste. Seine Co-Darsteller sind allesamt größer, Tim Robbins mit 1,96 im wahrsten Sinne des Wortes überragend. Lachman lässt keine Gelegenheit aus, in den Kameraeinstellungen Mark Ruffalos Körpergröße die seiner Kollegen gegenüber zu stellen. Ein vielleicht etwas einfacher, aber dennoch sehr effektiver Trick optisch die Figur des Robert Bilott suggestiv für den Betrachter gegenüber seiner Kontrahenten darzustellen.

Die Großmutter von Robert Bilott wird ihn mit dem Farmer Wilbur Tennant bekannt machen. Fast der gesamte Viehbestand von Tennant ist verendet, und der Farmer macht die ansässige Chemiefabrik von E. I. du Pont de Nemours and Company verantwortlich, die Abwässer in den Fluss leiten und Giftmüll auf werkseigenen Grundstücken vergraben. DuPont ist der größte Arbeitgeber in der Region, deswegen und wegen seiner enormen politischen und finanziellen Macht, wirkt er unantastbar. Jetzt ist es als Zuschauer einfach, den Handlungsverlauf ganz leicht selbst weiter zu beschreiben. Hinlänglich bekannt sind schließlich unter anderem THE VERDICT, THE INSIDER oder natürlich ERIN BROCKOVICH aus ähnlichen Lagern.

VERGIFTETE WAHRHEIT erzählt wie ein Underdog gegen einen allmächtigen Weltkonzern angeht. Dieser findet kaum Verbündete, und in der ersten Aussichtslosigkeit muss beim Gegner nur diese bestimmte Ecke finden, mit der man die Schutzfolie in einem Stück abziehen kann. Durch die zeitliche und psychische Belastung, wird es Eheprobleme geben. Dann kommt der vermeintliche Siegestaumel. Gemäß dem Standard  folgt ein nicht vorhersehbarer Kniff des Beschuldigten und das ganze Kartenhaus des Erfolges bricht zusammen. Wenn es scheint der unvorhersehbare Kniff hat alles zunichte gemacht, findet man in diesem ein verstecktes Schlupfloch. Die Schlacht wird in den letzten Minuten gewonnen.

VERGIFTETE WAHRHEIT ist nur oberflächlich ein Personen bezogenes Drama um Betrug, Lügen, Vertuschung und Gerechtigkeit. Der Film ist die sorgsam eingewobene und unaufdringliche Dokumentation über einen Skandal, der schon wieder in Vergessenheit zu geraden scheint. 99% aller Menschen weltweit sind mit dem hier thematisierten PFOA /C8 belastet. Besser bekannt als Teflon.
Solche Geschichten funktionieren nur, wenn sie auf wahren Begebenheiten beruhen.

Wo im Film eine Schlacht gewonnen wurde, ist damit  im wahren Leben nicht der Krieg beendet. Daraus macht Todd Haynes in seinem Film keinen Hehl, im Gegenteil. Wenn DuPont die Geschädigten mit zirka 670 Millionen Dollar abfindet, ist das für die Kläger aus der unteren Mittelschicht natürlich viel Geld. Allein im Jahr 2013 machte DuPont 4,8 Milliarden US-Dollar Gewinn. VERGIFTETE WAHRHEIT zeigt aber oberflächlich gesehen, den erfolgreichen Kampf des kleinen Mannes gegen die Übermacht eines Weltkonzerns. Das ist gut, und es macht Hoffnung. Auch diese Geschichte beweist, dass Engagement und Idealismus nie aufgegeben werden dürfen.

Schon immer ein Freund von unaufgeregten Geschichten, die sich mit maximaler Effektivität erzählen lassen, vollbringt Todd Haynes auch mit VERGIFTETE WAHRHEIT wieder exzellentes Spannungskino ohne billigen Emotionskitsch. Aus Standardsituationen werden eindringliche Momente wo der Regisseur den Protagonisten mit dem Zuschauer zusammen bringt. Robert Bilott erhält von DuPont hunderte Kartons mit Dokumenten, die aufgearbeitet und ausgewertet werden müssen. Auf Tennants Grundstück fährt die Kamera nach oben und offenbart die Farm als einzigen, großen Tierfriedhof . In einer subjektiven Autofahrt durch Parkersburg sieht Bilott allein durch Bilder wir sehr Bewohner und Fabrik ineinander verwachsen sind.

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Aber die Inszenierung hält immer die Waage zwischen Realismus und filmisch notwendiger Dramaturgie, jeder mögliche Pathos wird umgangen. Nicht selten tappt man als Beobachter in die Falle von falschen Annahmen, wo sich Situationen ganz anders auflösen als die Erwartungshaltung vorgibt. Allein Tom Robbins als Bilotts Vorgesetzter Tom Terp, der den Zuschauer um sein anvisiertes Hassobjekt bringt. Lässt das Ensemble an sich  schon mit seiner Auflistung die Spannung steigen, kann man das Spiel dann letztendlich nur in höchsten Tönen loben. Nur einmal verliert eine Figur den sicheren Hafen von Besonnenheit und emotionalem Gleichgewicht, als Robbins‘ Tom Terp seinen Partner lautstark erklärt, dass es tatsächlich noch so etwas wie moralische Integrität gibt. Hier erlebt man in Reinkultur, was diesen Film von ähnlichen Werken unterscheidet und abhebt.

Mark Ruffalo verkörpert Robert Bilott mit einer ungemein glaubwürdigen physischen Intensität. Wie nervenaufreibend und kräftezerrend die im Film behandelten 17 Jahre gewesen sein müssen, braucht er nicht szenisch ausspielen, man sieht es ihm an. Eine wesentliche Rolle spielt dabei Anne Hathaway als seine geduldsame Frau Sarah. Auf den ersten Blick scheint Hathaway etwas unterfordert in ihrer Rolle, doch entpuppt sie sich immer wieder als regulierende Kraft zwischen Robert dem Familienvater und Bilott dem getriebenen Rechtsanwalt. Was ihm auch die Energie gibt, die Ereignisse auch zu einem verhältnismäßig  guten Ende zu bringen.

E. I. du Pont de Nemours and Company ist am Ende eine Macht, die nicht verlieren kann. Doch das Image ist angekratzt, die Aufmerksamkeit geschärft. So vertraut einem diese Art von Film auch sein mag, haben sie eine immer währende Berechtigung. Exzellent gespielt und inszeniert, wie eben auch VERGIFTETE WAHRHEIT, sind sie erstklassige Unterhaltung. Aber gleichzeitig geben sie Botschaften weiter, derer man nicht müde werden sollte zu verbreiten und anzunehmen.

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Darsteller: Mark Ruffalo, Tim Robbins, Anne Hathaway, Bill Camp, Bill Pullman, Victor Garber, Mare Winningham u.a.
Regie: Todd Haynes
Drehbuch: Mario Correa, Matthew Michael Carnahan
Kamera: Edward Lachman
Bildschnitt: Affonso Goncalves
Musik: Marcelo Zarvos
Produktionsdesign: Hannah Beachler
USA / 2019
127 Minuten

Bildrechte: TOBIS FILM GmbH
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