ONE NIGHT IN MIAMI

One Night In Miami 1 - Copyright AMAZON STUDIOSAmazon Prime ab 15.01.2021

„Los Angeles ist das Land wo Milch und Honig fließt. Da können wir tun, was immer wir tun möchten.“
Wenn Sam Cooke das zu den anderen sagt, lässt sich das ohne weiteres auf die Situation der Schwarzen in der Gesellschaft herunter brechen. So wie sich der ganze Film als allgemeine Betrachtung der gesellschaftlichen Stellung von Afro-Amerikanern versteht. Oberflächlich gesehen. Eine Ebene tiefer ist es eine Auseinandersetzung mit der soziologischen Verantwortung der zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich vier einflussreichsten Schwarzen in Amerika. Das Land wo Milch und Honig fließt wäre für Cooke, X, Clay und Brown der Ort, wo Freiheit nicht mit Privilegien verwechselt wird.

Das Treffen von Malcolm X, Cassius Clay, Sam Cooke und Jim Brown an jenem 25. Februar 1964 im Hampton House Motel in Miami ist verbürgt, die Vorkommnisse in dieser Nacht hingegen, sind unbeschrieben. Für Kemp Powers allerdings auch intellektueller Anreiz für Spekulation, was Idole wie diese zu sagen haben. Männer, die durch ihr Können und ihre Leidenschaft mit außerordentlichen Privilegien gesegnet waren, solange sie sich in ihrer Profession bewegten. Wirklich frei war keiner von ihnen.

One Night In Miami 5 - Copyright AMAZON STUDIOSDie Helden werden zum Sinnbild. Kemp Powers hat bei seinem Bühnenstück deutlich Bezug auf Theaterautor August Wilson genommen, einen gefeierten, weil präzisen Chronisten der Schwarzen Gesellschaft. Kemp gelingt ist es ebenso brillant, versiert und tiefgründig, ein Bild zu zeichnen, ohne dabei anzuklagen. Genau wie bei Wilson, liegt das moralisieren auch bei Kemp in der Natur der Sache. Doch in den Diskussionen um soziopolitische Ungerechtigkeiten werden die Weißen zuerst ausgeklammert. Sie richten sich hauptsächlich nach Innen.

Der Handlungsaufbau splittet sich in drei Teile, die allerdings nicht in der klassischen Drei-Akt-Struktur gehalten sind. Anfang und Ende funktionieren eher als Pro- und Epilog. Der Haupt- und Mittelteil bildet das eigentliche Bühnenstück welches Kemp Powers auch als Einakter geschrieben hat. Die Möglichkeit selbst die filmische Fassung seines Werkes zu adaptieren, nutzt er für sehr kluge und dramaturgisch vertiefende Erweiterungen.

One Night In Miami 4 - Copyright AMAZON STUDIOSPowers setzt seine Interpretation jener Nacht, in den Rahmen wirklicher Ereignisse. Clays Niederlage gegen Henry Cooper, Cookes Versagen vor einem weißen Publikum, Brown Demütigung durch einen vermeintlichen Familienfreund, und Malcolm Xs aufkommende Zweifel am ‚Nation of Islam‘ führen zu jenem 25. Februar. Danach schließt der Film mit ebenso tatsächlichen Geschehnissen, die allerdings nur spekulativ aus jener Zusammenkunft resultieren.

Regina King inszenierte den Hauptteil ihres Spielfilmdebuts ganz nach den Mitteln eines Bühnenstücks. Nur ganz selten verlässt sie mit ihren Figuren die zwei Räume im Motelkomplex, lediglich um die Kamera zu befreien, aber auch emotionale Akzente zu setzen. Die Aussagen der verbalen Auseinandersetzungen werden dadurch verstärkt. Pro- und Epilog hingegen gestaltet King sehr pragmatisch konventionell, und fokussiert damit lediglich auf den Kern der Handlung.

Dennoch treffen Teile der Eingangsszenen, gerade wegen ihrer klassisch manipulativen Umsetzung, heftig in der Magengrube. Doch die Stärke von ONE NIGHT IN MIAMI liegt genau auf dem Teil, der ohne technische und inszenatorische Spielereien auskommt. Und Regina King kostet das vollends aus, indem sie sich ganz auf die einnehmend fundierten Texte und ihr hervorragendes Ensemble verlässt, ohne dem Ganzen eine persönliche Note aufzwingen zu wollen.

Die wahre Kraft in Powers Stück, und viel deutlicher in Kings Inszenierung, sind nicht die schlauen Sprüche, tiefschürfende Aussagen, oder treffenden Gedankengänge. Die hier zelebrierte Kunst ist es, glauben zu machen, dass sie Aussagen und Gespräche tatsächlich von den entsprechenden Personen kamen und in dieser Form geäußert wurden. Der Zuschauer wird hier wenig Zweifel hegen, dass diese Dialoge seinerzeit wirklich so stattgefunden haben.

Kingsley Ban-Adir als Malcolm X, Aldis Hodge als Jim Brown, Leslie Odom als Sam Cooke und Eli Goree als Cassius Clay. Sie sind ein unglaublich beeindruckendes Team. Wobei Goree als Clay tatsächlich noch eine Spur höher läuft, und mit jeder Geste und jedem Augenaufschlag den Geist des jungen Cassius wieder belebt.

Die Figuren sind gleichermaßen von Hoffnungen und Wünschen, Ängsten und Zorn getrieben. Doch jeder von ihnen verkörpert einen ganz eigenen Aspekt in der schier unlösbaren Zwickmühle von politischer Diskriminierung und soziologischer Freiheit. Jeder von ihnen hat seinen ganz eigenen Ansatz gefunden, sich mit seinem persönlichen Schicksal zu arrangieren. Aber ebenso hat jeder von ihnen seine eigene Vorstellung, wie er aus diesen gesellschaftlichen Restriktionen ausbrechen kann.

Am Ende finden sie ihr inneres Land wo Milch und Honig fließt, wo jeder tut, was auch immer er tun möchte. Und ein elektrisiertes Publikum wird kaum unterscheiden können, wo Fakt und Fiktion ineinanderfließen. Seinen weltweiten Start feierte dieses außergewöhnliche Werk am 15. Januar. Es ist der Geburtstag von Schauspielerin Regina King, die hier garantiert nicht ihren letzten Spielfilm inszeniert hat.

One Night In Miami 2 - Copyright AMAZON STUDIOS

 

Darsteller: Kingsley Ban-Adir, Eli Goree, Aldis Hodge, Leslie Odom Jr., Lance Reddick, Christian Magby, Joaquina Kalukango u.a.
Regie: Regina King
Drehbuch: Kemp Powers nach seinem Theaterstück
Kamera: Tami Reiker
Bildschnitt: Tariq Anwar
Musik: Terence Blanchard
Produktionsdesign: Page Buckner, Barry Robison
USA / 2020
114 Minuten

Bildrechte: AMAZON STUDIOS
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