DER PERFEKTE CHEF

Good Boss - Copyright TRIPICTURESEL BUEN PATRÓN
a.k.a. THE GOOD BOSS
– Bundesstart 28.07.2022

Ein wenig vergriffen hat sich Filmemacher Fernando León Aranoa lediglich zu Beginn. Der rätselhafte und düstere Anfang deutet noch nicht auf den Film hin, den jemand erhofft erwarten zu können. Wie bei seinem international bislang auffälligsten Film A PERFECT DAY, zeichnet sich auch DER PERFEKTE CHEF durch seinen feinsinnigen, oft ironischen Ton aus, der durch absurde Verknüpfungen der Ereignisse entsteht. Er ist aber von einer klamottenhaftigen Verwechslungskomödie weit entfernt. Nur zur Beruhigung. Mit 20 Platzierungen hat dieser Film bei den spanischen Premios Goya die bisher meisten Nominierungen erhalten. Sechs der Goyas hat er gewonnen. Das ist enorm, schließlich ist der Goya nicht irgendein Preis. Umso unverständlicher, warum für diesen Film nicht massiv die Werbetrommel geschlagen wird. Mundpropaganda, die bei diesem Film hervorragend sein wird, reicht leider bei europäischen Filmen meist nicht aus.

Immer wieder fängt die Kamera die Trophäenwand in Julio Blancos Haus ein. Viele bedeutende Preise hängen dort für sein Familienunternehmen Basculas Blanco. Von der Küchenwaage bis zur Waage in der Nutztierhaltung. Seit mehreren Generationen ist diese Fabrik internationaler Spitzenreiter, aber ein Platz ist an dieser Wand noch frei. Ein Spotlight ist vorsorglich schon auf die zu füllende Stelle eingestellt. Ein Komitee wird in dieser Woche erwartet, welches einen Preis der Regierung für exzellente Unternehmensführung auslobt.

Regisseur Aranoa macht gleich von Beginn klar, dass Julio Blanco kein Mann ohne Schwächen ist. Wenn er also von der Firma als Familie redet, kann man als Zuschauender schon auf den Gedanken kommen, dass irgendwann die Maske fallen wird. Und Bardem spielt dies exzellent ausgeglichen, den weltmännischen Geschäftsmann, den fürsorglichen Chef, aber auch den möglichen Trickser und Betrüger. Ausgeglichen kommt nicht von ungefähr. Die Waage ist eine allgegenwärtige Metapher, die der Filmemacher auch intelligent zu nutzen versteht.

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Überraschenderweise stellt sich heraus, das Julio Blanco tatsächlich der Mann ist, bei dem man erst angenommen hat, er würde lediglich eine Fassade aufrecht erhalten. Es ist geradezu genial, wie Aranoa mit dieser Erwartungshaltung spielt. DER PERFEKTE CHEF ist keine Komödie, obwohl er teilweise himmelschreiend komisch ist. Es ist eine bitterböse Satire, die sich zuerst nicht zu erkennen gibt. Julios Mitarbeiter lieben ihn, seine Ehe ist gefestigt, eventuelle Seitensprünge sind ohne Bedeutung.

Julio Blanco ist el bueno Patrón wie er nicht besser sein könnte. Alles für die Firma, und jederzeit für seine Mitarbeiter da. Wäre da nicht das zu erwartende Komitee zur Entscheidung über exzellente Geschäftsführung, und ein ehemaliger Mitarbeiter, der vor den Werkstor sein Protestcamp aufgeschlagen hat, um lautstark seinen Job zurück zu fordern. Es bereitet unglaubliches Vergnügen, wie sich viele Kleinigkeiten aneinanderreihen. Zuerst unbemerkt.

Immer schlimmer verhaken sich diese Kleinigkeiten ineinander. Es ist wie bei einem blutigen Horrorfilm, bei dem man sich weg duckt, wenn einem die Erkenntnis ereilt, was das eine Problem für andere Schwierigkeiten nach sich zieht. Nur tut man das hier mit einem Lachen, welches gleichzeitig ein wenig schmerzt. Javier Bardem hat schließlich auch eine Beziehung mit dem Zuschauer, die mit seiner unglaublichen Ausstrahlung einhergeht. Unweigerlich fühlt man mit dieser gequälten Seele, die für alle nur das Beste will.

Fernando León de Aranoa hat einen mitreißenden Film inszeniert. In einem exponentiell ansteigenden Spannungsbogen, treibt die Inszenierung einer menschlichen Katastrophe entgegen. Oder auch nicht. Der Film erreicht einen Unterhaltungswert, denn man Anfangs nicht für möglich gehalten hat. Das liegt aber nicht nur an dem raffinierten Handlungsgerüst, sondern an dem tadellosen Ensemble, für das jede Figur pointiert beschrieben ist.

Die Natürlichkeit welche die Darsteller ihren Charakteren verleihen, gibt dem PERFEKTEN CHEF erst diesen einnehmenden Charme, der uns Zuschauenden mit ihnen fühlen und zittern lässt. Aber auch zum Lachen bringt. Nicht aus Schadenfreude, vielleicht ein bisschen, doch weil Filmemacher Aranoa uns klar zu verstehen gibt, dass es eben auch jeden von uns treffen kann. Wäre Julio Blanco nämlich der verschlagene und opportunistische Chef, den wir insgeheim am Anfang noch erwartet haben, wäre es ein ganz anderer Film. So ist er aber die perfekte Satire, wo ungewiss bleibt, ob der freie Platz an der Trophäenwand noch gefüllt wird.

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Darsteller: Javier Bardem, Manolo Solo, Almudena Amor, Óscar de la Fuente, Sonia Almarcha, Fernando Albizu u.a.
Regie & Drehbuch: Fernando León de Aranoa
Kamera: Pau Esteve Birba
Bildschnitt: Vanessa Marimbert
Musik: Zeltia Montes
Produktionsdesign: César Macarrón
Spanien / 2021
116 Minuten

Bildrechte: TRIPICTURES
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