DVD/Blu-ray: DER WUNDERBARE MR. ROGERS

A Beautiful Neighbourhood 1 - Copyright SONY PICTURESA BEAUTIFUL DAY IN THE NEIGHBORHOOD
– ab 19.11.2020 DVD/Blu-ray

Aus Tom Junod wird Lloyd Vogel. Und das hat einen Grund, der sich erst auf den zweiten Blick erschließt. Dies ist ein Film über Fred Rogers. Wer Fred Rogers das erste mal persönlich trifft, wird ihn nicht für real halten. Wenn man eine Biografie über einen Menschen macht, der für jeden US-Amerikaner ein bekannte Persönlichkeit darstellt, dann muss es jenseits der bekannten Figur etwas tieferes, eine andere Seite geben. Eine gelungene Biografie, legt diese unbekannten Aspekte frei und beleuchtet sie. Langweile Lebensläufe erklären einen Menschen von der Wiege bis zum letzten Geleit, das ist der Klassiker. Geniale Persönlichkeitsexkursionen hingegen, können einen Menschen anhand eines kurzen, aber prägnanten Abschnittes in seinem Leben definieren. Ein ehrfurchtsvolles Augenzwinkern geht dabei Richtung Stephen Frears THE QUEEN. Weder die erste, noch die zweite Variante wären für Fred Rogers angebracht.

Und um alles noch komplizierter zu gestalten, muss man noch dazu voranstellen, dass es ein Film über Fred Rogers im europäischen Raum kaum Interesse generieren dürfte. Vielleicht wegen des Hauptdarstellers, aber ansonsten ist auf unserem Kontinent diese Institution kaum ein Begriff. Das Interesse an diesem Mann wird aber stark ansteigen, hat man diesen Film zuerst unvorbelastet gesehen. Vielleicht empfiehlt sich zur Einstimmung sogar eine Episode von MISTER ROGERS‘ NEIGHBORHOOD auf YouTube.

Wie und wo bekommt man so eine Ikone von Güte und Menschlichkeit zu fassen? Eine fast unlösbarer Auftrag für Journalist Tom Junod, als er für den ‚Esquire‘ Mister Rogers portraitieren sollte. Dieser Mann war auch privat das Abbild dessen, wie er sich bei 912 Fernsehauftritten in seiner Kindersendung von 1968 bis 2001 seinem Zielpublikum präsentierte, und deren Eltern, und deren Großeltern. Mister Fred Roger war und ist noch ein Phänomen der Generationen. Und er spielte nie diesen Figur im Fernsehen, er war tatsächlich dieser Mensch.

A Beautiful Neighbourhood 4 - Copyright SONY PICTURES via IMDb

 

Tom Junods Auftrag waren 400 Worte, an Ende wurde der Artikel ‚Can You Say, …Hero?“ mit über 8000 Worten veröffentlicht. Anstatt die Person selbst zu portraitieren, hielt Junod fest, welchen Einfluss Fred Rogers auf andere Menschen hatte. Es wurde ein Blick auf den Journalisten selbst. Deswegen wollte er auch, dass sein Name im Film geändert wurde. Die Geschichte sollte nicht die reale Person Tom Junod in den Vordergrund stellen und vom Kern ablenken, sondern der fiktive Lloyd Vogel ein emotionaler Querschnitt der Menschen sein, die Rogers in ihrem Leben positiv beeinflussen konnte.

Immer wenn man glaubt, DER WUNDERBARE MR. ROGERS würde sich im Kitsch-Modus verlieren, wird die Geschichte auf Ereignisse und Beobachtungen aus dem Artikels zurück geführt. Was man leicht sentimental überzogen auffassen kann, spiegelt dann doch die wahren Begebenheiten und Zustände wieder. Was das Drehbuch allerdings nicht wirklich geglückt beschrieben hat, ist die Haupthandlung um Lloyd Vogels Familiengeschichte. Auch wenn sie exemplarisch gedacht ist, für all die anderen Schicksale die Fred Rogers berührt hat, ist sie doch zu Klischee beladen und vorhersehbar.

Was die Geschichte vor dem abgleiten in den Kitsch bewahrt, dass ist Matthew Rhys als desillusionierter und aufgewühlter Vogel, und Susan Kelechi Watson als seine Frau Andrea, die damit kämpft, die Probleme ihres Mannes richtig einordnen zu können.
„Ich arbeite an einem Portrait über Fred Rogers.“ – „Oh, ich bitte dich, zerstöre nicht meine Kindheit.“
Leider hat dem Chris Cooper als gefallene Vaterfigur darstellerisch wenig dagegen zu setzen, und bedient sich selbst zu stark aus seinem eigenen Repertoire von veralteten Manierismen.

A Beautiful Neighbourhood 3 - Copyright SONY PICTURES via IMDb

 

„Weißt Du was für mich genau in diesem Augenblick das Wichtigste auf der Welt ist? Am Telefon mit Lloyd Vogel zu sprechen.“
Über Tom Hanks braucht man nicht viel zu sagen. Ihm liegt einfach dieser gutmütige, stets aufmerksame Charakter, für den nichts wichtiger ist, als Glück und Zufriedenheit für jeden Menschen mit dem er zu tun hat. Während der Produktion wurde bekannt, dass Hanks ein Cousin 6. Grades von Rogers ist. Die Inszenierung sieht seinen Charakter allerdings mehr als erweitertes Handlungselement anstatt den zu erwartenden Mittelpunkt des Films. Das macht den gesamten Handlungsverlauf auch etwas unrund, weil die Erwartungshaltung natürlich auf Hanks Charakter und sein Spiel ausgerichtet wird.

„Wenn wir können, ob durch Fernsehprogramme, oder andere denkbare Programme, lasst die Menschen wissen, dass jeder einzelne von ihnen wertvoll ist.“
Eine netter Einfall, und gleichzeitig eine verbeugende Geste, sind die Szenenübergänge. Gestaltet mit naiven Modellbauten, exakt wie im Titelvorspann von MISTER ROGERS‘ NEIGHBORHOOD, führen nicht ganz saubere Kamerafahrten von einem Handlungsort zum anderen. Für einen Wiedererkennungseffekt sehr schön anzusehen, lenkt es aber auch immer wieder von den ernsteren Teilen der Erzählung ab.

„Ruhm ist ein Vier-Buchstaben-Wort. Entscheidend ist, was wir daraus machen.“
Diese Güte, diese Anteilnahme, die Besonnenheit, Selbstlosigkeit, oder Empathie, das ist schwer zu begreifen, wenn man es auf einen Menschen vereinen muss. Immer wieder wartet man auf den Moment, dass der Film plötzlich eine Schattenseite dieser amerikanischen Ikone aufdeckt, und man wartet vergebens. Die wahrlich übertrieben scheinende Szene in der ein ganzer U-Bahn-Waggon das Titellied zu MISTER ROGERS anstimmt, ist tatsächlich so passiert. Unzählige Immigranten haben mit Rogers‘ Kindersendung die amerikanische Sprache gelernt. Fred machte von jedem ein Foto, mit dem er auch nur wenige Worte gewechselt hat.

„Ich wollte das er für mich betet. Jemand der soviel erleiden muss, der muss auch Gott besonders nah sein.“
A BEAUTIFUL DAY IN THE NEIGHBORHOOD hat einige Mängel, ist nicht der große Wurf, könnte sogar noch eine Spur origineller und auch straffer inszeniert sein. Und doch ist es fasziniert zu beobachten, dass jemand mit einem erwachsenen Mann spricht wie mit einem Kind, und was am Anfang nervt und fremd wirkt, plötzlich beruhigt und positiv beeinflusst. Um nicht zu viel vorweg zu nehmen, sollte man bei Interesse den Artikel „Can You Say, …Hero?“ von Tom Junod erst nach dem Film lesen. Er bleibt dennoch spannend und ist auch eine wunderbare Erweiterung.

A Beautiful Neighbourhood 5 - Copyright SONY PICTURES via IMDb

 

Darsteller: Matthew Rhys, Tom Hanks, Chris Cooper, Maryann Plunkett, Susan Kelechi Watson, Enrico Colantoni, Wendy Makkena u.a.
Regie: Marielle Heller
Drehbuch: Micah Fitzerman-Blue, Noah Harpster
nach einem Artikel von Tom Junod
Kamera: Jody Lee Lipes
Bildschnitt: Anne McCabe
Musik: Nate Heller
Produktionsdesign: Jade Healy
USA – China / 2019
109 Minuten

Bildrechte: UNIVERSAL PICTURES RELEASING
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