EDITORIAL: „Ich will es nicht gut. Ich will es Dienstag.“

Es ist die teuerste Werbekampagne, welche ein Streaming-Dienst je gestartet hat. Im Schatten einer weltweiten Anomalie, kündigte Universal an seine Filme zukünftig in Kinos und auf Streaming Plattformen gleichzeitig zu starten. Das nahmen lediglich die führenden Kinoketten übel. Und es ist bereits Monate her. Da war das Karussell von Startverschiebungen, Aufhebungen und Wechsel der Vertreibungsformen noch gar nicht wirklich angelaufen. Neun Monate später ist die Situation so verfahren, dass der Begriff ‚Situation‘ in seiner Definition keine Gültigkeit mehr hat. Nun bebt es richtig im Konstrukt von Hoffnungslosigkeit, Panikattacken und scheiternder Wirtschaftlichkeit. Warner Bros. bildet sich ein, handeln zu müssen. Dafür investieren sie 200 Millionen Dollar, die etwaigen Produktionskosten von WONDERWOMAN 1984.

Wie sagte schon der alte Jack Warner: „Ich will es nicht gut. Ich will es Dienstag.“ Warner Bros. schickt WONDER WOMAN nicht nur in die zweite Runde, sondern auch auf zwei Verwertungsschienen. Day & Date auf HBO Max und im Kino. Die Streaming Kanal ist augenblicklich nur in den Vereinigten Staaten zu empfangen, und wer in anderen Ländern keine geöffneten Kinos hat, bleibt einfach trocken. Ob Sky als deutscher Warner Partner WONDER WOMAN 1984 zeigen wird ist noch offen. Sicher ist, dass das überteuerte Sky kaum neue Kunden wegen dieses Films finden wird. Während das komplette Angebot von HBO Max verlockender wäre. Die planen sich aber erst 2021 in Europa zu etablieren.

Der Warner Ableger HBO ging mit seinem Streaming Service HBO Max eher still und fast unbemerkt im Mai 2020 an den Start. Wie bei Disney+, hielten sich die Abonnentenzahlen eher hinter den Erwartungen. Von Fehlschlägen zu reden wäre allerdings gänzlich verkehrt. Wenngleich sich Disney noch immer sehr ungeschickt in der Kunden-Akquirieren benimmt. Und mit dem unendlichen Auf und Ab, Hin und Her, Lockdown, Wiedereröffnung, und Aktien-Katastrophen will sich Warner Bros. scheinbar nicht mehr abgeben. Man hat es mit TENET probiert, was nur leidlich funktionierte. Viele Multi-Millionen-Dollar-Produktionen liegen weiterhin auf Eis. Und der hauseigne HBO Max braucht ohnehin neue und viel mehr Abonnenten.

Fakt ist, dass man über Streaming keine Großproduktionen finanzieren kann. Das Kino war schon immer die Verwertungsform, bei der sich ein Film rückfinanzierte. Bei WW84 war eine Aussicht auf eine Milliarde Dollar wahrscheinlich. Vor der Krise. Filme wie MATRIX, KING KONG GEGEN GODZILLA oder auch DUNE, die gesamte Palette von 2021 ist für ein Day & Date Release auf Stream und Kino gelegt. Und die Angst, das andere Studios mit ihren Lagerbeständen aus 2020 nachlegen werden, ist nicht unberechtigt. Sogar eher wahrscheinlich.

Egal wie viele hochgerüstete Filmfreaks behaupten, dass Erlebnis Kino genauso gut zuhause erfahren zu können. Sie tun es nicht, sondern lügen sich nur in die eigene Tasche. Eine hochpreisige Heimanlage schlägt noch lange nicht die Qualität eines Kinoprojektors, und auch das aufwendigste Tonsystem verliert noch gegen die Ton- und Frequenz-Dynamik eines Standard Kinos. Und das sind erst die technischen Aspekte, ohne das kollektiv emotionale Erlebnis. Die überaus schwache Schutzbehauptung von Popcornschmatzern und Pärchengeflüster ist auch längst unten durch.

Wirft man einen Blick auf die Liste der 2020 ausgefallenen Filme, sind die meisten davon Filme, welche ein bestimmtes Klientel von Zuschauern ansprechen. Das sind keinesfalls durch und durch kriminell veranlagte Menschen. Es sind sogar Menschen, die eine Kinoauswertung weit mehr schätzen, als das Vergnügen auf Scheibe oder Stream in den eigenen vier Wänden. Und Warner kennt diese Gefahr, genauso wie alle anderen Betriebswirtschaftler in der Branche. Ein professionelles und lizensiertes Streaming-Portal liefert erstklassige Raubkopien, sie machen Schluss mit von der Leinwand abgefilmten verwackelten Bildern und unverständlichem Ton. Der Volksmund nennt es Raubkopie. Der Rest bedarf keiner Erklärung.

Diese von Warner angedachte neue Veröffentlichungsform ist also wirtschaftlicher Wahnsinn. Das Konzept kann nur solange bestehen, bis die Krise in einigen Monaten überwunden ist. Oder hochdotierte Event-Filme gehören der Vergangenheit an, weil sie sich nicht mehr finanzieren lassen, geschweige denn die Gewinne steigern. Und so hoch die Zahl derer auch sein mag, die das Kino bevorzugen, sie wären zukünftig in der Minderheit. Kinos die bis in 2021 hinein überlebt haben, werden dieses Vetriebskonzept nicht überstehen. Dazu bedarf es keiner betriebswirtschaftlichen Ausbildung.

Die auf Halte liegenden Filme aufzusparen, ist im Umkehrschluss genauso verrückt. Denn schon jetzt beschneiden sich die Großproduktionen in ihren angedachten Startnischen. Vor der Krise hat es immer wunderbar funktioniert, dass sich die Studios mit entsprechenden Filmen bei den Startterminen aus dem Weg gingen. Schon über Jahre vorweg wurden die Termine der sogenannten Tentpoles gelegt und fest genagelt, andere Produktionen darum herum lanciert.

Den Untergang des Kinolandes herauf zu beschwören, wäre im Moment noch zu früh. Allerdings waren die letzten Wochen zu diesem Thema so turbulent, das diese hier verfassten Worte schon längst wieder überholt sein könnten. Streaming mag sich nach einem Allheilmittel anhören, allerdings sind in dieser Richtung noch sehr viele Überlegungen, Abwägungen und Kalkulationen zu machen. So wie im Augenblick überreagiert wird, kann es nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Oder wie einmal Gal Gadot als Diana Prince meinte:

„Nur ein einziger der vielen Götter glaubte daran. Und er lag falsch.“

 

 

 

 

Bildrechte: WARNER BROS.
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