SUICIDE TOURIST – Es gibt kein Entkommen

Exit Plan 1, Copyright DCM DistributionSELVMORDSTURISTEN / EXIT PLAN
– Bundesstart 02.07.2020

Was weiß man über Sterbehilfe? Nicht Betroffene wahrscheinlich wenig. Vielleicht hat man durch die Medien mitbekommen, dass ‚geschäftsmäßige Sterbehilfe‘ in Deutschland nun erlaubt ist. Befasst man sich deswegen intensiver mit diesem Thema, wenn es einen nicht unmittelbar berührt? Verboten hingegen ist weiterhin, in Dänemark wie auch hierzulande, die aktive Sterbehilfe. Das ist weniger verwirrend als es sich anhört. Ein Arzt darf demnach einem Patienten zum Beispiel eine tödliche Dosis an Medikamenten besorgen und überlassen, damit dieser sich dies selbst verabreichen kann. Der Arzt darf aber selbst keine Mittel verabreichen, zum Beispiel dem Patienten spritzen. Viel weiter, als bis hierher, scheinen auch Autor Rasmus Birch und Regisseur Jonas Alexander Arnby keine Gedanken an die Grundlage ihres Filmes verschwendet zu haben. SUICIDE TOURIST ist ein fokussierter Blick auf eine Person, und nicht die gesellschaftliche Relevanz. Was dann auch sehr schnell vom Drama, ins Unheimliche umschlägt.


Das Max Isakson unheilbar krank ist, weiß derjenige, der sich diesen Film ausgesucht hat. Die Handlung selbst lässt sich dafür etwas Zeit, selbst wenn der Film mit dem Beginn der schicksalshaften Reise beginnt. Man nimmt Max erst als verschlossenen, schweigsamen, ja sogar unglücklichen Menschen wahr. Ob es ein glücklicher, oder unglücklicher Zufall ist, muss der Zuschauer selbst entscheiden, denn Max bekommt durch einen von ihm bearbeiteten Versicherungsfall den Hinweis auf das Hotel Aurora. Ein Institut, welches seine verständigen Gäste zum selbstbestimmten Suizid geleitet. Das Publikum bleibt bei Max, die Kamera beobachtet ihn, oder sieht die Umwelt aus seiner Perspektive. Aber die Symbiose zwischen Protagonist und Zuschauer will Regisseur Jonas Alexander Arnby nicht gelingen.

Exit Plan 3, Copyright DCM Distribution
Das Drehbuch von Rasmus Birch ist sehr reduziert, was dem Thema sogar sehr angemessen scheint. Tatsächlich ist es aber schon wieder viel zu wenig, um sich der der Geschichte in seiner Gänze emotional anzunähern. Der Verzicht auf ausladende Emotionen, Humor, oder gleich überstilisierten Drama ist auffallend, wird aber nicht zuerst nicht vermisst. Max bleibt distanziert, auch wenn Nikolaj Coster-Waldau in seiner salomonischen Ruhe brilliert und damit fasziniert. Den Machern ist ein Fehler unterlaufen, den es in dieser Form bei solchen Anbietern, wie im Film thematisiert, niemals geben würde. Und das ist die Frage des Betreuers nach Max‘ Gewissheit. Mit seinen Kameraeinstellungen bleibt Niels Thastums stets auf die Figuren fixiert, er reduziert damit jeden Raum auf die Personen. Selbst Außenaufnahmen sind keine füllenden Establishing-Shoots, sondern erklärende Stufen, wie die Transferfahrt über eine steigende Serpentinenstraße, oder die das Hotel umgebenden Felsformationen, die auf der einen Seite faszinierend anzusehen sind, aber gleichzeitig bedrohlich wirken.

Optisch ist SELVMORDSTURISTEN fast schon makellos der Prämisse und dem Handlungsverlauf entsprechend. Nur die Inszenierung hakt an zwei Stellen, die ziemlich unpassend ins humoristische abgleiten, was sich nicht wiederholt und damit die dramaturgische Kontinuität brechen. Der Film macht es einem ohnehin nicht leicht. Birch und Arnby haben vollkommen darauf verzichtet ihr Thema mit Erkenntnissen oder Ideologien zu unterfüttern, oder in irgendeiner Form zu kommentieren. Das führt dazu, dass sich im Verlauf der Geschichte die Atmosphäre bis ins Unbestimmte immer weiter verdichtet. Aus dem oberflächlich betrachtet, nur scheinbar emotionslosen Drama, entwickelt sich ein sehr gemäßigter Psychothriller. Das sich daraus noch ein handfester Gruselfilm ergeben könnte, ist jederzeit möglich, und wäre darüber hinaus nachvollziehbar.

Man hätte sich nur gewünscht, dass SELVMORDSTURISTEN seine Zuschauer mit diesem Thema nicht ganz so alleine gelassen hätte. Hier wären mehr Denkanreize, und provokante oder begleitende Thesen hilfreich gewesen. Der nüchterne Status Quo ist dafür viel zu distanziert, um den Zuschauer entweder herauszufordern, oder wenigstens heranzuführen. Trotzdem ein stark gespieltes Drama, welches gerade wegen seiner zurückhaltenden Darstellung so einnehmend funktioniert. Und die letzten Minuten zeigen, dass nicht der gesamte Film so geradlinig und nüchtern ist. Mit einem mal sitzt der Zuschauer in einer bedeutungsschwangeren Kollage an Eindrücken und Möglichkeiten. Sind es Fantasien, die organisierte Wirklichkeit, oder gar Übernatürliches. Es löst nicht die ausstehende Auseinandersetzung, offeriert aber eine tiefergehende Geschichte.

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Darsteller: Nikolaj Coster-Waldau, Kate Ashfield, Tuva Novotny, Robert Aramayo, Jan Bijvoet, Sonja Richter, Johanna Wokalek u.a.
Regie: Jonas Alexander Arnby
Drehbuch: Rasmus Birch
Kamera: Niels Thastum
Bildschnitt: Yorgos Mavropsaridis
Musik: Mikkel Hess
Produktionsdesign: Simone Grau Roney
Dänemark – Norwegen – Deutschland  / 2019
90 Minuten

Bildrechte: DCM Distribution
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